Im antiken Griechenland begannen am 20. September, also schon kurz vor der Tagundnachtgleiche, die Feiern zu Ehren der Korngöttin Demeter. Im Gegensatz zu unserem gesitteten Erntedankfest dauerte dieser Fruchtbarkeitskult wochenlang, denn er bildete den rauschhaften Abschluss der Ernte. Im Grunde genommen war es ein Dankfest zu Ehren der Sonne, denn erst ihr Licht und ihre Wärme haben den Kornsegen hervorgezaubert. Darum dürfen wir, wenn wir vom Sonnenwirken reden, die goldenen Meere der Kornfelder nicht vergessen. In ihnen wohnt der Korngeist, den wir flüstern hören, wenn sich die Ähren raschelnd im Wind wiegen. Dies ist ein freundlicher und lichter Vegetationsgeist, denn er nährt sich von den belebenden Strahlen der Sonne und überträgt ihre Kräfte auf uns.
Korngeist spendet Fruchtbarkeit und ewige Jugend
Kornfrüchte wie Hafer oder Hirse sind uralte Fruchtbarkeitssymbole. Seit der Antike spielen sie in den Hochzeitsbräuchen vieler Völker eine Rolle. Je nach Gegend bewirft man Brautpaare bis heute mit Hafer oder Hirse und neuerdings auch mit Reiskörnern, um Kindersegen zu bewirken. Im Grunde verbirgt sich dahinter ein Sonnenritual, bei dem die fruchtbarkeitsspendenden Sonnenkräfte des Korngeistes auf den Menschen übergehen sollen. Aber die Macht des Korngeistes reicht noch weiter! Er hütet nämlich das Geheimnis der Wiedergeburt. In jedem Samenkorn ruht ein Lebensgeist, der auf seine Erweckung durch die belebenden Sonnenstrahlen wartet. Weil der Same schließlich keimt und neues Leben aus sich gebiert, symbolisieren samenreiche Pflanzen wie Granatapfel, Hirse oder auch Schlafmohn die Verjüngung der Seelen im Totenreich. Dieses Motiv spiegelt sich im Ahnenkult wieder, den unsere Großeltern noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts pflegten. Mit dem kirchlichen Seelausläuten zu Allerheiligen (1. November) streuten sie Mohnsamen von den Gräbern bis nach Hause, um die Seelen der Verstorbenen heimzuführen. Sie heizten die Stuben, stellten Hirsebrei und Wein auf den Tisch, ganz so, als ob der Tote noch unter ihnen weilen würde. Dies ist ein schöner Brauch, wenn man bedenkt, dass er das Urvertrauen in die Unbesiegbarkeit des Lebens bezeugt. Würden wir solche Bräuche heute noch ernst nehmen, dann wäre der moderne Mensch nicht derart von der Angst vor dem Tod geplagt! Der Tod wäre dann nur eine andere Ausdrucksform des Lebens, ein vorübergehender Ruhezustand, der in die Wiedergeburt mündet. Nichts anderes beweisen uns die Sonne und mit ihr die Natur immer wieder!
Hafer – Sonnennahrung für Körper und Seele
Jede Getreideart hat ihre eigene Bedeutung: So brachte uns die Gerste das Bier, das flüssige Gold; die samenreiche Hirse war die traditionelle Fruchtbarkeits- und Seelenspeise; der sonnige Weizen ergibt unser tägliches Brot. Im Gegensatz zu anderen Grundnahrungsmitteln wie etwa Kartoffeln, die unter der Erde heranreifen, oder Salate, die heute zumeist sogar ohne Erde und unter UV-Lampen in riesigen Gewächshäusern gezogen werden, reifen unsere Getreide nach wie vor durch direktes Sonnenlicht heran. Aus diesem Grund speichern alle Kornfrüchte besonders viel Sonnenkraft in sich und man kann sie daher Sonnennahrung nennen. Mit eben diesem Gold der Äcker beschenkt uns die Sonne, bevor sie ihrem winterlichen Exil entgegeneilt. Von den Kornfrüchten, in denen der Geist der Sonne wohnt, wollen wir den Hafer (Avena sativa) besonders hervorheben. Er ist nämlich nicht nur eine wertvolle Nahrungspflanze, sondern auch ein Heilmittel der Sonne mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten.
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Wenn der Hafer sticht
Schon die Germanen bauten den Hafer seit frühester Zeit an. Zunächst diente er ihnen als Tierfutter – das altnordische Wort »hafr« bedeutet »Nahrung des Bocks«. Der Ziegenbock, das heilige Tier ihres Donnergottes Thor, bezog seine Kraft von dem Süßgras, und Wodans Rosse erhielten Hafer als Opfergabe.
Das Kraftfutter der Pferde ist jedoch mehr als nur nahrhaft. Reiter wissen, dass Pferde geradezu süchtig nach Hafer sind und durch größere Mengen in rauschartige Zustände geraten. Schlaue Pferdehändler geben ihren müden Schindmähren reichlich Hafer, damit sie sich heißblütig gebärden und leichter verkaufen lassen. Inzwischen weiß man auch, warum der Hafer »sticht«: Ein Alkaloid namens Avenin erregt und berauscht die Tiere (G. Madaus: Lehrbuch der biologischen Heilmittel). Dass uns der Hafer gleichermaßen »sticht«, erfahren wir durch eine Südtiroler Sage. In der Gegend um Vals lebten einst die »Habergäule«, zwei Urmenschen, die sich ausschließlich von Haferbrei, Haferknödeln und Haferschrot ernährten. Dies verlieh ihnen derart übermenschliche Kräfte, dass sie ihren Pflug vor lauter Übermut selber zogen. Hafer mobilisiert in der Tat die Kraftreserven und gilt daher als Aufbaunahrung in der Rekonvalezenz. Will man körperliche Höchstleistungen erbringen, dann braucht man es nur den Leistungssportlern nachzumachen. Wenn sich zum Beispiel ein Marathonläufer auf einen Wettkampf vorbereitet, dann ernährt er sich fleischarm und verzichtet auf raffinierten Zucker. Hafer und andere Getreidearten gehören allerdings auf den täglichen Speiseplan, denn sie verleihen die nötige Ausdauer.
Hafer macht Nerven wie Drahtseile
Die sonnenverwöhnte Kornfrucht bewährt sich ebenso als Arznei bei nervöser Erschöpfung, insbesondere nach körperlicher wie auch geistiger Überarbeitung. Sie stärkt die Nerven und richtet den Geist wieder auf. Dies sieht man dem Getreide schon an: Trotz der schweren Kornlast knicken die dünnen Halme bei Wind oder Regen nicht sofort ein. Der hohe Gehalt an Kieselsäure verleiht ihnen Standhaftigkeit. Im übertragenen Sinne eignet sich der Hafer daher für Menschen, die nur über ein zartes Nervenkostüm verfügen, sich rasch überfordert fühlen und in der ständigen Furcht leben, dass sie unter ihrer Last zusammenbrechen könnten. In solchen Fällen steigert der Hafer (z. B. Ceres Avena sativa Urtinktur) wieder spürbar die Belastbarkeit und macht Nerven wie Drahtseile.
Der Hafer findet sich auch in vielen bewährten Naturheilmitteln für den Schlaf. Besonders geeignet sind Arzneikombinationen mit Hafer, wenn das Einschlafen wegen zu großer Erschöpfung und innerer Unruhe einfach nicht gelingen will. Die Betroffenen leiden dann entweder unter zu heißen oder zu kalten Füßen (Störung im Nierenmeridian) und müssen nachts immer wieder zum Wasserlassen raus. Seine Heilwirkung richtet der Hafer nämlich auf die Nieren und die Nebennieren, die unter anderem für die Verarbeitung von Außeneinflüssen und Stress zuständig sind. Weil die besonders eiweißreiche Kornfrucht in sehr großen Dosen die Nieren reizen kann, liegt er in Nerven- und Schlafmitteln jedoch meist in potenzierter Form vor (z. B. Avena comp., Globuli von Wala). Neben dem drohenden Nervenzusammenbruch, heutzutage auch Burn-out genannt, gehört nicht zuletzt auch die Suchtentwöhnung zu den traditionellen Anwendungsgebieten dieser sonnigen Kornfrucht. In der Fachliteratur wird immer wieder über die Heilerfolge berichtet, die Ärzte mit Hilfe von Hafer bei Alkohol-, Morphium- oder Opiumsucht erzielen konnten (siehe Gerhard Madaus: Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Seite 654). Wir konnten immerhin bei der Raucherentwöhnung gute Erfahrungen sammeln (siehe Rezept).
Die Kornmutter Demeter, Schloss Linderhof; Foto Olaf Rippe
Der Praxistipp: Nervenstärke für die Suchtentwöhnung
Gehören Sie auch zu den Nikotinsüchtigen, die sich immer wieder erfolglos das Rauchen abgewöhnen wollen? Sonnenpflanzen ersetzen zwar nicht den eisernen Willen, den eine Entwöhnung von der Nikotinsucht erfordert. Dafür lindern sie Entzugserscheinungen. So stärkt der Hafer die Nerven, der Rosmarin regt den Kreislauf an und verbessert die Konzentration. Eisenarsenat stärkt den Willenspol bei Suchterkrankungen, und Thymian entspannt und reinigt die Lungen. Breitwegerich ruft sogar Widerwille gegen Tabak hervor.
Mischung aus
• Avena sativa Urtinktur (Hafer)
• Ferrum arsenicosum Dil. D8 (Eisenarsenat)
• Plantago major Urtinktur (Breitwegerich)
• Rosmarinus officinalis Urtinktur = D1 (Rosmarin)
• Thymus vulgaris Urtinktur (Thymian)
jeweils 20 ml
Über eine Apotheke von Spagyra bestellen und mischen lassen oder selber bestellen (www.spagyra.at) und selber mischen. Dosierung: Bei Verlangen nach Nikotin, fünf Tropfen im Mund zergehen lassen oder in etwas Wasser einnehmen.
Ergänzend empfiehlt sich in der ersten Zeit möglichst viel zu schlafen, ausgedehnte Spaziergänge zu unternehmen und eine Entgiftungskur durchzuführen (z. B. Basenbäder, Saunieren, Lungen reinigende Teekuren oder eine blutreinigende Frühjahrskur). Erfahrungsgemäß lässt sich das akute Verlangen nach Nikotin von Tag zu Tag etwas rascher verdrängen. Wichtig ist, dass man von Anfang an versucht, den Kaffee, das Feierabendbier oder Sonnenuntergänge auch ohne Nikotin zu genießen, denn diese bergen eine hohe Rückfallgefahr in sich.