Olaf Rippe ist Therapeut, Autor, Referent und Liebhaber der Künste. Wenn er ein Phänomen betrachtet, sei es eine Heilsubstanz oder eine Krankheit, nimmt er stets unterschiedliche Perspektiven ein, so auch im Gespräch mit uns. In seinen Publikationen und Vorträgen nutzt er die Kunst als Medium, um heilkundliches Wissen zu vermitteln. Kunst und Heilkunst speisen sich für ihn aus den gleichen Quellen und sie haben verwandte Ziele. Seine Vorgehensweise ist ganzheitlich und von altem Wissen geprägt. Im spannenden Interview mit ihm erfahren wir, welche Rolle der Kunst in diesen Heilungsprozessen zukommen kann, wie Künstlerinnen und Künstler verschiedenster Epochen bewusst Heilpflanzen und heilsame Symbole in ihren Werken zum Ausdruck gebracht haben, warum Pflanzen mit Signaturen »gezeichnet« wurden und wie der Mensch sich als Teil des Paradieses erkennen kann.
HUGO V. ASTNER: Wie ist Ihre Beziehung zur Natur? Seit wann fühlen Sie sich der Natur nahe?
OLAF RIPPE: Ich bin in der Natur groß geworden. Mein Spielplatz waren die Wiesen und Hünengräber Norddeutschlands. Ich fühlte mich frei. In der Stadt habe ich dann später erfahren müssen, wie wenig echte Natur es dort zu erleben gibt – Hochhäuser begrenzen den Blick auf das große Ganze. Ein frustrierendes Gefühl. Vielleicht war dies sogar eines meiner Motive, den Beruf des Heilpraktikers zu ergreifen. Mein Erkenntnisweg lebt von der sinnlichen Beziehung zur Natur. Ich setze mich zur Pflanze und beobachte still und erfreue mich an der Schönheit der Natur, denn diese Schönheit ist es, was letztendlich das wirklich Heilende ist. Außerdem geht Probieren über Studieren. Selbst habe ich hunderte von Pflanzen gesammelt, um daraus Arzneien herzustellen und diese auch meistens an mir selbst ausprobiert. Mit meinem Mentor Max Amann, einem Meister der Phytotherapie, der mir auch den Weg von der Chemie zur Alchimie zeigte, war ich als frischgebackener Heilpraktiker dazu viel in der Natur unterwegs. »Schau genau hin«, hat er immer gesagt. Er wollte, dass ich merke, wie ein Baum wirklich wächst, wie er sich rhythmisch bewegt, mit welchen Signaturen er sich uns offenbart, welche Gesichter er mir zeigt. Es braucht ein kontemplatives Schauen, kein wissenschaftliches Fixieren, um dem Wesen der Natur nahe zu sein.
Welche Parallelen würden Sie persönlich zwischen Kunst und Natur identifizieren? Wie viel Kunst steckt in der Natur?
OLAF RIPPE: Die Natur schafft die Kunst nur für sich, sie macht Kunst, um zu leben und um das biologische Gleichgewicht zu erhalten. Die Natur erfreut sich an sich selbst. Sie braucht keinen Betrachter, sie ist in sich selbst erfüllt und ist von vollendeter Ästhetik. Damit aber aus einer Natursubstanz ein Heilmittel wird, muss sie vom Menschen berührt und umgewandelt werden. Jede Natursubstanz hat ein heilendes Agens in sich, das man mit unterschiedlichen Methoden kunstvoll aufschließen und veredeln kann – dies ist das Ziel der Alchimie. Die Veredelung nutzen wir seit Jahrtausenden beispielsweise auch als Gärtner. Ein wilder Wein ist ungenießbar, aber ein von Menschenhand veredelter Wein kann ein großartiges Kunstwerk sein. Ähnlich ist es auch bei der Rose: erst die Veredelung bringt sie zur Vollendung. Rose und Wein sind nicht ohne Grund Symbole Symbole eines höheren Bewusstseins und zu Attributen von Maria und Jesus geworden.
Meister des Paradiesgärtleins – Madonna in den Erdbeeren, 1425
Ihr Beruf als Therapeut hat sehr viel mit Leidenschaft zu tun. Wie dürfen wir uns diese »Berufung« vorstellen?
OLAF RIPPE: Tatsächlich ist mein Beruf eigentlich ein klassischer Meisterberuf und er hat viel mit Berufung zu tun. Ein Therapeut braucht eine innere Bereitschaft und einen Meister, der einen in diesen Beruf einführt. Mit Max Amann hatte ich das Glück, einen solchen Meister gefunden zu haben. Alles fängt mit der Theorie an und endet in der Praxis und dieser Weg ist sehr lang. Einen Ritterschlag zum Meister gibt es nicht. Aber irgendwann gibt es eine relative Gewissheit, angekommen zu sein. Um eine bestimmte Qualität zu erreichen, benötigt man auf jeden Fall Leidenschaft. Man kennt keinen Aus-Knopf, aber wenn man den Beruf liebt, ist das nicht wirklich anstrengend. Zudem habe ich das Glück, dass ich meine Leidenschaft praktisch von Anbeginn an mit meiner Lebenspartnerin Margret Madejsky teilen darf. Die Arbeit als Heilpraktiker ist zum Glück auch abwechslungsreich.
Den Menschen betrachte ich dabei nicht als Summe von Symptomen. Der Mensch sitzt vor mir als ein Meisterwerk der Schöpfung, allerdings im Krisenmodus, so dass er sich dieses Zustands nicht mehr bewusst ist. Das Wesen von Krankheit birgt immer auch ein Gefühl von nicht geborgen sein in sich, von Mangel, von Versagen, von Schuld. Dies geht vom Zweifel bis zur Verzweiflung. Die Praxisarbeit hat somit auch seelsorgerische Aspekte. Diese braucht erheblich Zeit und Zeit fehlt in der Medizin von heute vielleicht am meisten – zum Glück ist dies als Heilpraktiker weniger ein Problem. Um eine Krankheit zu begreifen, ist es zudem wesentlich, den biografischen Prozess des Menschen zu verstehen. Jeder Patient bringt seine ganze Lebensgesichte mit und diese ist immer einmalig. Der wesentliche Aspekt in der Heilkunst ist ein Ja zur eigenen Biografie, es hat keinen Sinn zu hadern, denn Hadern blockiert den Heilprozess. Was es braucht, ist die Aussöhnung.
Der Isenheimer Altar, Matthias Grünewald, 1516; Museum unter den Linden, Colmar
Auf dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald findet man zahlreiche Heilpflanzen abgebildet, die man früher zur Behandlung des Antoniusfeuers verwendete, wie Wegerich, Eisenkraut (siehe Bild), Hahnenfuß, Quecke, Ehrenpreis oder Schwalbenwurz. Diese damals weitverbreitete Krankheit wird durch Mutterkorn verseuchtes Getreide verursacht und führt neben Halluzinationen auch zu sehr schmerzhaften Durchblutungsstörungen. Albert Hofmann synthetisierte im 20 Jh. aus Mutterkorn das allseits bekannte LSD.
In Ihren Vorträgen und Büchern bauen Sie immer wieder Kunstwerke ein, um Zusammenhänge zu erklären. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen und können Sie uns das eine oder andere Beispiel nennen?
OLAF RIPPE: Kunst ist ein ideales Medium zum Begreifen eines Heilprozesses. Künstler haben einen besonderen Blick auf die Phänomene. Sie bilden nicht die Realität ab wie ein Foto, sondern schauen in das Unsichtbare hinein. Kunst ermöglicht einen Blick hinter die Kulissen des Sichtbaren. Als Therapeut habe ich das gleiche Anliegen. Irgendwann habe ich dann die Heilpflanzen auf Bildern entdeckt. Sie sind Informationsträger und als solche vermitteln sie Heilkenntnisse der jeweiligen Zeitepoche. Sie sind Attribute von Göttern oder Heiligen und wir erfahren so etwas über deren besondere Qualitäten. Wenn Impressionisten wie Monet, Pflanzen stimmungsvoll in Szene setzen, berührt dies unmittelbar die Seele des Betrachters. Viele Bilder sind ein perfekter Spiegel menschlicher Seelenzustände. In ihnen kann man sich wiederfinden, über sich reflektieren oder in neue Gefühlssphären emporgehoben werden.
Caspar David Friedrich, Der Mönch am Meer, 1808–1810 (Zustand vor der Restaurierung), Öl auf Leinwand, 110 × 171,5 cm, Alte Nationalgalerie
Nehmen wir von Caspar David Friedrich »Der Mönch am Meer«. Dieses Bild verwende ich gerne, um die Melancholie zu beschreiben. Der Mensch, wie er einsam den Schicksalsmächten ausgesetzt ist. Jedes Gemälde repräsentiert eine Fülle an Ideen, es ist immer ein Gesamtkunstwerk und Teile eines Bildes lassen sich eigentlich nicht wegdenken. Genauso verhält es sich mit einer Heilpflanze. Auch sie ist ein Gesamtkunstwerk und die Botschaften, die darin stecken, lassen sich nicht auf Wirkstoffformeln reduzieren. Ebenso ist der Patient nicht nur die Summe seiner Blutwerte. Ich setze Kunstwerke in meinen Vorträgen und Büchern deswegen gerne als Botschaft ein, um die Wirkungen einer Pflanze oder Seelenzustände auf andere Weise zu beschreiben, als dies in Fachbüchern sonst üblich ist. Die Wirkstoffformel von Saponinen im Efeu dürfte nur für den Chemiker von ästhetischem Genuss sein, während der Efeu auf dem Gemälde Proserpina von Dante Rossetti vielfältige Botschaften für den Betrachter bereithält, wenn man sie denn lesen kann (siehe Bild). Je länger ich solche Bilder betrachte, desto mehr beschleicht mich das Gefühl, dass der Künstler selbst etwas Heilendes erleben kann, wenn er Pflanzen malt oder Zustände darstellt.
Ein Künstler schafft Kunst vielleicht in erster Linie, um einen geheilten Zustand zu erreichen. Wir »Nichtkünstler« erleben dies als eine Art Katharsis beim Betrachten mit.
Sie sammeln auch selbst Kunst? Welche Kunstrichtung schätzen Sie besonders?
OLAF RIPPE: Wenn ich das notwendige Kleingeld hätte, würde meine Sammlung aus Artefakten der Menschheitsgeschichte bestehen, so wie dem kleinen Pferd aus Elfenbein, das man bei Ulm gefunden hat. Ich würde auch antike Kunstgegenstände sammeln, da hier häufig Götter-Mythen im usammenhang mit Pflanzendarstellungen thematisiert sind – unvergleichlich ist die Schale mit Dionysos als Seefahrer, umgeben von Wein und Delphinen. Danach wird es für mich in der Romanik und Gotik wieder interessant, vor allem in sakralen Bauwerken. Dort vor allem die Ornamentik und Formgebung, die sich auf die Pflanzenwelt bezieht – Meisterwerke findet man im Dom zu Naumburg. Faszinierend in Sachen Pflanzenbilder ist die Kunst der Renaissance, die Zeit von Dürer und Paracelsus.
Viele Kunstwerke sind wie gemalte Rezepte – mein Lieblingsbild in dieser Hinsicht ist der Isenheimer Altar mit den Heilpflanzendarstellungen zur Behandlung des Antoniusfeuers. In dieser Epoche werden mit einer genialen Exaktheit zum ersten Mal Pflanzen naturalistisch erfasst. Hier findet sich auch die Zeit der alten Kräuterbücher, der »Väter der Botanik«, wie Leonhard Fuchs. Impressionisten wie Monet, Symbolisten wie Böcklin und Präraffaeliten wie Burne Jones sind ein Augenschmaus für die Seele.
Max Ernst, Die Lebensfreude,1936
Der Zugang zur Natur ist eng verbunden mit überliefertem Wissen, das weit in die Menschheitsgeschichte zurückreicht. Wie haben wir Menschen uns eigentlich im L
Im 20. Jahrhundert verlangte die Zeit der Zerrissenheit auch nach anderen Ausdrucksformen, beispielsweise die Surrealisten: Max Ernst finde ich begnadet, sein Bild „Die Lebensfreude“ liebe ich sehr – man schaut in eine magische Pflanzenwelt, die faszinierend, aber auch unheimlich und wild erscheint. Bleibt noch der phantastische Realismus eines Ernst Fuchs und die psychedelische Kunst wie die von Fred Weidmann, dessen Werke ich sammle.aufe dieser Jahrtausende verändert? Inwiefern kann dieses Wissen heute noch angewendet werden?
OLAF RIPPE: Die Menschheitsgeschichte in Bezug zur Kunst ist lang, sie beginnt bereits bei den spektakulären Höhlenmalereien wie in Lascaux. Ich glaube, dass Kunst ganz viel damit zu tun hat, in welche Dimensionen wir als Mensch überhaupt hineinschauen können. In alter Zeit hat man aus dem Inneren der Phänomene herausgeschaut und nicht wie heute von außen darauf und man hat dabei eine Welt voller Wunder gesehen. Im Laufe der Verstädterung und Industrialisierung haben wir uns von der Natur immer weiter abgewendet und ihr ihre Wildheit genommen. Die Natur wurde zu einem Ding. Doch Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden aber auch die ersten Gegenströmungen wie die Naturfreunde, die auf Goethe, Carus und Hufeland zurückgehen oder die theosophische Bewegung und hier finden wir auch die Anfänge einer modernen Naturheilkunde.
Die ökologische Bewegung von heute, die man als Weiterentwicklung sehen könnte, ist aber leider immer noch zu verdinglicht. Es geht dort nicht um das Wunder der Schöpfung, sondern man möchte die Cellulose-Masse erhalten und das Klima retten, allerdings nicht, um Mutter Erde zu ehren. Was es wirklich braucht, ist etwas Universalistisches und vor allem eine intensive Interaktion mit dem Ahnenwissen. Auch die psychedelische Kunst ist ein gutes Vehikel, um eine Anbindung an die magische Welt zu finden. Wir haben uns zu sehr davon entfernt und das macht krank – Zivilisationskrank.
Proserpina, von Dante Rossetti, 1874 – Persephone wurde von Hades in die Unterwelt entführt. Die Verzweiflung ihrer Mutter Demeter brachte die Erde in Not, so dass Hermes ausgesandt wurde, um zu vermitteln. Da die Korntochter jedoch vom Granatapfel als Totenspeise gegessen hatte, brauchte es einen Kompromiss. Man einigte sich darauf, dass sie die dunkle Jahreshälfte bei Hades bleiben musste und die lichte bei ihrer Mutter sein durfte – so entstanden die Jahreszeiten. Die abgebildeten Pflanzen verdeutlichen den Mythos: Efeu zeigt den Bezug zu Chronos, dem Gott der Zeit und des Todes – nicht ohne Grund findet man ihn vor allem auf Friedhöfen. Er ist auch mit Dionysos assoziiert, dem Gott der Ekstase, dem man zur Wintersonnenwende kultisch huldigte. Als rankende Pflanze verbindet Efeu die Welten miteinander und da er im Winter fruchtet, symbolisiert er die Unsterblichkeit der Seele. Als immergrüne Pflanze hat er zudem eine Vitalkraft, die Persephone ein Überleben in der Unterwelt möglich macht – botanisch ist Efeu mit Ginseng verwandt, den wir alle als Lebenselixier kennen und die Wirkstoffe sind sich sehr ähnlich. Der Granatapfel, der schon in der Antike als Lebenssymbol galt und in dem man hormonartige Substanzen gefunden hat, spielt als Heilmittel vor allem im Klimakterium eine Rolle, also im Winter des Lebens. Wir sehen weiter ein Räuchergefäß. Mit Räucherungen ehrt man nicht nur die Götter auf rituelle Weise, sondern hilft auch der Seele in schwierigen Lebensphasen.
Sie haben sich intensiv mit der Signaturenlehre von Theophrastus Paracelsus beschäftigt. Zu welchen Erkenntnissen führt diese Lehre und wie können diese angewendet werden?
OLAF RIPPE: Durch die Naturentfremdung kennen wir die Pflanze nur mehr über die Wirkstoffidee. Das Ergebnis ist eine dünndarmlösliche Gelatinekapsel-Arzneikultur, ohne jede Magie. Die Naturheilkunde geht da einen völlig anderen Weg und vermutlich liegt da auch der Grund für die neuerdings heftigen Angriffe seitens der Wissenschaft, die inzwischen einen dogmatischen Anspruch auf Wahrheit erhebt und andere Sichtweisen nicht tolerieren will. Für mich ist Paracelsus hier eine mögliche Brücke. In ihm verbinden sich unterschiedliche Sichtweisen. Auf ihn können sich eigentlich alle gleichermaßen berufen. Er ist der Schöpfer einer modernen wissenschaftlichen Labormedizin, aber seine Weltsicht ist integrativ. In seiner Welt ist auch Platz für Elementarwesen und ein göttliches Wirken, was er als Licht der Natur bezeichnete. Was ich von Paracelsus gelernt habe, ist der Respekt vor dem Erfahrungswissen. Wie er schreibt, ist in der Natur nichts ohne Heilkraft. Damit wir erkennen können, wofür, hat das Göttliche sie gezeichnet, ihr Signaturen mitgegeben, eine bestimmte Gestalt, einen Geruch, einen Geschmack, einen Wachstumsort, eine Wachstumsgemeinschaft, eine Wachstumszeit und so weiter. So wie die Natur, ist auch der Mensch voller Signaturen und jede Krankheit hat ihr ganz spezielles Aussehen. Die Aufgabe des Therapeuten ist es, die Signaturen des Menschen mit jenen der Natur in Resonanz zu bringen. Durch die Resonanz erfolgt die Heilung.
Erzengelwurz aus dem Kräuterbuch des Hieronymus Bock, 1551
Können Sie ein Beispiel nennen?
OLAF RIPPE: Nehmen wir die Erzengelwurz – sie hat eine stark ausgebildete Wurzel mit einem intensiven würzig-herben und leicht scharfen Geschmack, symmetrisch geformte, feingezahnte Blätter, die sich wie große Adlerschwingen gebärden. Im zweiten Jahr entwickelt sich ein menschenhoher Stamm und in der Krone beschützt die Pflanze mit ihren Hüllblättern das Heiligste und offenbart schließlich, wie bei einer Geburt, eine kugelige Gestalt mit unzähligen winzigen Blüten, als ob Licht daraus strahlt und alle Sterne erreicht, wie eine Brücke ins Universum. Daher der Name Erzengelwurz. Das Volk gibt einer Pflanze keinen Namen ohne Grund. Diese Pflanze ist geeignet für Menschen, die sich schwach und abgetrennt fühlen vom göttlichen Strom, die erdrückt werden von Ängsten und auch von unangenehmen Gedanken der Düsterkeit. Die Erzengel sind die Brücke in die höheren Bewusstseinssphären, zur höchsten Intelligenz. Geheilt sein bedeutet mit dieser Intelligenz in Schwingung, in Resonanz zu sein. Die Erzengelwurz hat im Volk daher das allerhöchste Ansehen.
Wir brauchen in Sachen Heilmittelerkenntnis also unterschiedliche Zugänge?
OLAF RIPPE: Die Frage ist doch: Warum mussten wir überhaupt anders als unsere Ahnen an die Sache herangehen? Ich glaube, dass wir durch die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise unsere Urangst vor der Wildheit der Natur kompensiert haben. Wir haben die Natur domestiziert und ihr dabei ihre Magie genommen. Wir konnten dadurch sehr ins Detail hineinschauen, haben jedoch den Überblick über das große Ganze verloren. In der Integration alten Wissens liegt in meinen Augen der Schlüssel. Die technisierte Welt ist bequem, macht uns aber nicht wirklich glücklich. Wir brauchen die Überwindung unserer materialistischen Weltsicht, ein Bewusstsein dafür, dass wir Menschen uns nicht selbst erschaffen haben, ein Verständnis dafür, dass es eine geistige Sphäre gibt, die wir nicht benennen können.
Fred Weidmann, Mutterpflanze 2013, Acryl – das Bild zeigt »Das Weibliche« als Grundprinzip des Fruchtbaren – eine Metamorphose aus der Wurzelwelt in verschiedene Blatt- und Blütenformen unterschiedlicher Pflanzenfamilien, es erinnert an das Bild »Morgen« von Phillip Otto Runge.
Viele Naturvölker, die unabhängig voneinander an unterschiedlichen Orten der Erde ihre »heilenden« Rituale entwickelt haben, scheinen über ein ähnliches Wissen verfügt zu haben, obwohl keine direkte Kommunikation möglich war. Worauf ist das zurückzuführen – hat das mit »Naturgesetzen « zu tun, die wir in uns haben?
OLAF RIPPE: Das ist eine universelle Sprache, das Gesetz der Resonanz. Außerdem unterliegen wir alle seit Urzeiten den gleichen Gesetzmäßigkeiten. Indigene Völker haben ihre Rituale, um immer wieder Teil der Schöpfung zu werden. Krankheit entsteht nach alter Vorstellung aus der Verletzung eines Tabus oder dem unergründlichen Wirken höherer Mächte – aber immer trifft es nicht das Individuum, sondern die ganze Sippe, daher sind auch die Heilrituale immer kollektiv. Geheilt werden muss demnach auch die ganze Gesellschaft und nicht der Einzelne, wie heute meist üblich. Um ein Phänomen zu verwandeln, brauche ich also eine bestimmte geistige Haltung zum Gegenüber, sei es Mensch, sei es Natur. Auch hier sehe ich unsere Ahnen viel stärker in Resonanz, so dass ihnen moderne Krankheiten erspart blieben. Diese Form von Resonanz ermöglicht ein gemeinsames Wissen und das Bild einer Weltgemeinschaft.
Jede Arznei findet ihren Ursprung in der Natur. Kann denn Ihrer Meinung nach auch allein die Kunst ein Heilmittel sein?
OLAF RIPPE: Ja, unbedingt. Wir drücken durch die Kunst unsere eigene Vorstellung von Schönheit in dieser Welt aus und auch unsere Sehnsucht. Das ist Ausdruck unserer individuellen Magie. Es ist wichtig, dass man sich mit Kunst umgibt oder auch selbst Kunst erschafft. Die Kunst wurde seit jeher in den Heilprozess involviert. Krankheit muss einen künstlerischen Ausdruck finden dürfen, damit Heilung möglich ist. Wie Joseph Beuys richtig bemerkte, ist jeder Mensch ein Künstler und meiner Meinung nach auch ein Heilkünstler.
Was wird die Zukunft bringen?
OLAF RIPPE: Ich befürchte, dass wir uns noch weiter von der Natur entfremden. Meine Hoffnung ist, dass immer mehr Menschen merken, dass man durch die Natur zum Seelenfrieden findet, wenn man zweckfrei mit ihr in Verbindung tritt. Wenn wir in diese achtsame Haltung der Schöpfung gegenüber kommen, bräuchten wir vieles nicht mehr einnehmen. Wir wären wieder Teil des Paradieses.
Das Gespräch erschien in der Kunstzeitschrift Stayinart 1/2022
Aus unserem Buch-Shop zum Thema
DVDs und Streaming zum Thema
-
Sale!Die Alraune und ihre Schwestern - Vortrag über Nachtschattengewächse mit Olaf Rippe. Im Mittelpunkt dieses Abends steht die Alraune und mit ihr die Erlebnisse des Referenten, die er mit dieser magischen Wurzel verbindet und seine Erfahrungen mit ihr als Heilmittel. Aber auch Bilsenkraut, Tollkirsche, Stechapfel und Tabak, aber auch die ungiftigen Geschwister wie Bittersüß oder Tomate, werden sicher nicht zu kurz kommen.