Dezember 2021
Als mich einmal jemand fragte, was wohl der Standpunkt von Paracelsus bezüglich Corona wäre, war meine erste Reaktion, dass sich darüber nicht viel sagen ließe. Schließlich dauerte es nach Paracelsus noch Jahrhunderte, bevor die ersten Krankheitserreger entdeckt wurden. Doch eigentlich wollte ich mich vor allem davor hüten, Paracelsus vor meinen Karren zu spannen.
Aber da ich Paracelsus nicht nur gewaltig bewundere, sondern auch gewaltig ernst nehme, ließ mich die Frage nicht los, und mir wurde schnell klar, dass meine erste Antwort falsch war. Ich brauche Paracelsus gar nicht vor meinen Karren zu spannen; die Anhaltspunkte, die sich aus seinem Werk gewinnen lassen, sind deutlich genug. Das möchte ich im Folgenden ein wenig ausführen.
Gewiss, im 16. Jahrhundert gab es noch keine Viren. Jedenfalls nicht in der Erlebniswelt der Menschen. Doch so wie wir jetzt Krieg führen gegen ein Virus – und Krieg gegen Krebs, und Krieg gegen dieses und jenes, Heilkunde scheint heutzutage immer Krieg zu sein –, so war man damals auf der Jagd nach einer materia peccans, einem krankmachenden Stoff, den es mit allen Mitteln auszutreiben galt. Daher die Aderlässe, daher das Entleeren des Verdauungstraktes nach oben oder unten. Der Stoff, der schuld war an der Krankheit, musste um jeden Preis entfernt werden.
Paracelsus sah das etwas anders. Für ihn bestand Heilen nicht darin, einen mutmaßlichen Krankheitsstoff zu entfernen. Das heißt nicht, dass er das Vorhandensein einer materia peccans in jedem Fall ablehnte; er benutzte den Begriff selbst auch. Nur setzt er einen Stoff nicht mit einer Krankheit gleich. Wenn man so einen Stoff herausbefördert hat, ist damit die Krankheit noch nicht weg: „Ir sehent, das durch purgirn kein cur nie geschehen ist.“1 Denn die materia peccans ist nicht Ursache, sondern Folge der Krankheit. Der Ursprung der Krankheit liegt im Nichtstofflichen.
Paracelsus spricht von einem Geist, oder einem astralen Fünkchen. Nicht eine materia peccans, sondern den spiritus peccans, den krankmachenden Geist müsse man austreiben, so etwa im Fall der französischen Krankheit: „Es ist nit materia peccans zu betrachten, sonder spiritus peccans.“2
Viele Zeitgenossen werden sich fragen, wie es denn möglich ist, dass ein „Geist“ oder ein „astrales Fünkchen“ einen Menschen in eine Krankheit stürzen kann, die doch ganz materiell daherkommt. Das ist natürlich nur zu verstehen, wenn man davon ausgeht, dass der Menschen selbst auch im Geistigen wurzelt. Wenn der Mensch Gottes Ebenbild ist – und das ist er für Paracelsus, er liest ja die Bibel auch wie eine Art Naturgeschichte der Welt und des Menschen –, dann muss der Mensch ursprünglich Geist sein.
Für Paracelsus ist jeder Patient ein einzigartiger Entwurf aus der Werkstatt Gottes, der seine Entfaltungsmöglichkeiten wiederhergestellt sehen möchte. Und um an dieser Wiederherstellung arbeiten zu können, muss man den Menschen, wie Paracelsus es tat, in all seinen Schichten betrachten, vom geistigen Samen bis hin zu dessen letztem Ausdruck in der Materie. Dieses Geistige nennt Paracelsus auch den König im Menschen. Daneben übersieht er keineswegs das Tier, oder die vielen Tiere, die im Menschen hausen; aber, sagt er, und das ist zu einem geflügelten Wort geworden – wenn es so auch nirgendwo in seinen Büchern steht: „Nur der Gipfel des Menschen ist der Mensch.“ Und dieser Gipfel des Menschen ist immateriell: „Ein mensch, wird geacht sein leib für den menschen und er ists nit; das ist der mensch das nit leib ist.“3 Und das bedeutet für den Arzt: „Der arzet sol disen anfang [des menschen] auch wissen, das er in nit wie für ein vihe im fleischbank gebe, sonder bedenk götlich biltnus, recht mit der arznei mitzufaren.“4
Der Arzt solle sich bewusst sein, dass er in jedem Patienten ein Ebenbild Gottes vor sich hat, und seine Heilkunst darauf abstimmen! Dies macht paracelsische Heilkunst zur Geisteswissenschaft. Eine ärztliche Praxis, die diesen Aspekt nicht berücksichtigt und die sich selbst ausschließlich als angewandte Naturwissenschaft betrachtet, wäre demnach eine Art Tiermedizin. Doch wer möchte schon das Heilen von Menschen Tierärzten überlassen?! Vielsagend ist in diesem Zusammenhang, dass unter den holländischen Regierungsberatern zur Coronapolitik Tierärzte stark vertreten sind.
Wenn wir diese Anschauung von Paracelsus mit unserer heutigen Sichtweise vergleichen, scheinen wir an einer gewaltigen Horizontverengung zu leiden: Wir führen unsere Krankheit auf die Einwirkung irgendeines giftigen Schleims zurück – die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Wortes virus – eine Art Schleim allerdings auf der Grenze zwischen lebender und toter Materie. Die Frage scheint kaum noch gestellt zu werden, wie es denn kommt, dass wir so anfällig für diesen Schleim, für dieses Virus sind: durch einen ungesunden Lebensstil, einen Organismus, der durch unnatürliche Nahrung chronisch malträtiert wird, durch das materielle und immaterielle Gift, dass wir tagtäglich aufnehmen, geschweige denn, dass an das Verfehlen
oder Verwahrlosen der eigenen Lebensaufgabe gedacht wird. Nein, unser Blick hat sich verengt auf ein Stückchen Virus, dem wir den Krieg erklärt haben.
Die ganze Sache begann eigentlich mit der Kontroverse zwischen Koch und Pettenkofer. Robert Koch hat 1884 die Cholerabakterie entdeckt. Pettenkofer – Chemiker, Pharmazeut und Deutschlands erster Hygieniker – meinte, dass mehr dazu gehört, ernsthaft krank zu werden; nach ihm war es vor allem eine Frage der Hygiene. Um den Beweis zu liefern, ließ er sich von Koch ein wenig Bakterienkultur schicken, um diese Lösung in einem öffentlichen Akt hinunterzuschütten. Eine Erkrankung blieb aus. Dies sollte bitte nicht als Anregung aufgefasst werden, selbst mit Erregerkulturen zu experimentieren. Ein Nachahmer Pettenkofers war weniger glücklich und zahlte für den Versuch einen hohen Preis. Natürlich geht es immer um eine Gesamtheit von Faktoren; das Virus oder die Bakterie macht auch mit. Es kommt eben darauf an, wer am stärksten ist.
In Frankreich war es Louis Pasteur, der die Mikrobenhypothese aufstellte und meinte, dass Heilung im Töten der Mikroben bestehen müsse. Auch er hatte berühmte Gegenspieler, wie Claude Bernard, der die These vertrat, dass das Milieu intérieur, also der Zustand des gesamten Organismus, entscheidend dafür sei, ob sich eine Krankheit entwickeln kann. An seinem Lebensende gab Pasteur zu: „Bernard hatte recht, der Erreger ist nichts, das Milieu ist alles.“ Aber da war es schon zu spät. Koch und Pasteur – d. h. Pasteur vor seinem Widerruf – haben sich durchgesetzt, bis heute. Heilkunde ist für die Mehrzahl der modernen Menschen Krieg gegen Mikroben und Viren bzw., wie etwa beim Krebs, gegen noch vagere Entitäten. Die Kriegsrhetorik hört man jeden Tag in den Nachrichten, und unter Berufung auf diesen Kriegszustand werden Maßnahmen durchgedrückt, die in Friedenszeiten kein Mensch akzeptieren würde.
Paracelsus kannte keine Immunologie nach unseren heutigen Begriffen, wie zelluläre und humorale Abwehr usw. Er beschrieb sie jedoch perfekt: „Von natur hat [der mensch] wider ein ietliche krankheit erznei. und wie er hat den destructorem sanitatis von natur, also hat er auch conservatorem sanitatis von natur. ietzt folgt aus dem das der destructor für und für destruction, corruption wirket und hantlet, den menschen umbzubringen. also stark und empsich ist auch conservator naturae; was der ander zerbricht und zerbrechen wil, das richt der angeborne arzt wider auf und zu. (…) also ist im leib die höchst kunst zum zerbrechen, auch die höchst kunst zum wider machen.“5 Dat ist das Milieu intérieur von Bernard, das natürlich kein Stillleben ist, sondern ständige Dynamik. Der Arzt in der Außenwelt, sagt Paracelsus, solle erst dann aktiv werden, wenn der eigene, angeborene Arzt es nicht mehr schafft, und dann die eigenen, selbstheilenden Prozesse unterstützen.
Es fällt nicht schwer, sich auszumalen, auf welcher Seite Paracelsus in der Kontroverse zwischen Erregerbekämpfern und Menschenheilern wohl stehen würde. Jetzt schrieb ich gerade „Kontroverse“ – aber gibt es die eigentlich noch? Man bekommt ja heutzutage ständig den vermeintlichen „wissenschaftlichen Konsens“ um die Ohren gehauen, und einfältige wie intelligente Leute versichern, „der Wissenschaft“ zu vertrauen – als ob es in der Wissenschaft keine unterschiedlichen Standpunkte mehr gäbe.
Wie stand es mit Paracelsus‘ Verhältnis zur Wissenschaft seiner Zeit? Mit dem damaligen Wissenschaftsbetrieb geriet er als Baseler Professor bekanntlich schnell in Konflikt. Die Universität forderte Anpassung an das herrschende Dogma, das Paracelsus zu bekämpfen angetreten war. An wissenschaftlichem Konsens war ihm nichts gelegen, an Autoritäten noch weniger. Paracelsus berief sich auf seine Erfahrung und sein Denken, experimenta ac ratio. „Wir werden die medizinische Wissenschaft von den gröbsten Irrtümern säubern“, heißt es in der berühmten Intimatio, seinem Vorlesungsprogramm, „indem wir nicht den Lehren der antiken Autoren folgen, sondern nur dasjenige vorbringen, was wir zum Teil durch Offenbarung der Natur, zum Teil durch eigene Anstrengung entdeckt haben und was wir durch langjährige Anwendung und Erfahrung bestätigen konnten.“6
Paracelsus konnte sich dort denn auch nicht lange behaupten und wurde auch für den Rest seines Lebens von akademischen Kreisen im Allgemeinen völlig ignoriert. Zu seiner Verbannung aus dem wissenschaftlichen Leben trugen auch die Behörden bei, die den Druck seiner Bücher verboten. Zudem bekam er die Macht der damaligen pharmazeutischen Industrie zu spüren, verkörpert durch das Handelshaus der Fugger, die mit dem Import von Guajakholz und dem Handel in Quecksilber enorme Gewinne machten – zwei Pharmaka, vor deren exzessivem Einsatz Paracelsus warnte. Dies alles hielt ihn keinen Moment davon ab, zu sagen, was er zu sagen hatte, ungeachtet der Konsequenzen. So schrieb er dem Stadtrat von Nürnberg, als er vom dortigen Druckverbot erfuhr: „Ir habent nichts auf den druck zu urteilen, warumb urteilent ir denn meine arbeit? habt des kein verstand nicht. (…) haben die zu Leipzig etwas gegen mich, rechtlich disputiren. sich darf hierin niemants legen, wir werdens wol ausmachen. [Er nennt die Leipziger, weil das Druckverbot auf Andringen der Universität Leipzig zustande gekommen war, getrieben von Pharmainteressen.] Das die hohe schul ob mir klagt“, heißt es weiter, „richte sie gegen meiner person aus, nicht zu verbitten den truck; dan der truck stehe nicht in solchen dingen, der disputation zu befelen vorbitten, niemants vorzuhalten. darumb ist der truck, darumb drückt man, auf das die warheit an tag kome. der in mir niderlegt, der niderlegt die warheit.“7
Das sind kräftige und klare Worte, mit denen er sicherlich auch vielen heutigen aus der Wissenschaft Ausgestoßenen aus dem Herzen spricht. Für mich besteht jedenfalls kein Zweifel daran, dass Paracelsus auch heute zu der Gruppe von Außenseitern gehören würde, die vom wissenschaftlichen Dialog ausgeschlossen sind, weil Fachzeitschriften ihre Publikationen nicht mehr annehmen, sie von den sozialen Medien gesperrt werden und ihren guten Ruf, wenn nicht gar ihre Stelle verlieren.
Wie Paracelsus im Einzelnen mit Covid umgehen bzw. was genau er der Regierung empfehlen würde, weiß ich natürlich nicht. Aber dass er lautstark davor warnen würde, ganze Bevölkerungen, einschließlich Kinder, Versuchen mit tief greifenden Mitteln auszusetzen, deren kurzfristige Wirkung tötlicher ist als die Krankheit, die sie bekämpfen sollen, und deren langfristige Folgen unübersehbar sind, steht für mich außer Frage. Und wer ihn ein wenig kennt, insbesondere wer sein Paragranum kennt, kann sich leicht vorstellen, welche Kraftausdrücke er dafür finden würde. Was ich jedoch weiß, ist, welche Ausgangspunkte seiner Empfehlung zugrunde liegen würden. Paracelsus hat, abgesehen von zahlreichen anderen Äußerungen, Aufzeichnungen zu seiner eigenen Fassung des hippokratischen Eides hinterlassen. Darin ist unter anderem Folgendes zu lesen – und ich greife nur ein paar Zeilen heraus, die für heutige Ärzte besonders aktuell sind:
„Das gelob ich: –
mein arznei volfertigen und nicht von der zu weichen, so lang mir got das ampt vergunt, und zu widerreden aller falschen arznei und leren; – demnach das ich die kranken lieben wil, ein ieglichen mer als wan es mein leib antreffe;
– kein arznei geben on verstand;
– kein geld on gewunnen einnemen;
– kein apotheker zu vertrauen; [für Apotheker lese man Pharmabetrieb]
– nicht wenen sondern wissen; [und noch ein schöner, beherzigenswerter Satz:]
– Auch keim unwissenden kranken durch erbeten unbekant arznei, es sei frauen oder mannen, was groß ist, zugeben.“8
Heutzutage scheint es den meisten eine ausgemachte Sache, dass Medizin angewandte Naturwissenschaft und Technik ist – eine Vorstellung, die im 19. Jahrhundert aufkam. Viele Ärzte dachten damals, vor knapp 200 Jahren, in allem Ernst, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie sämtliche physiologischen Prozesse beherrschen und alle Krankheiten eliminieren könnten. Rudolf Virchow, der Begründer der Zellularpathologie und größte deutsche Arzt seiner Zeit, sprach vom „Evangelium der naturwissenschaftlichen Methode“, die für ihn die „einzige Methode überhaupt“ war. Er sagte auch wörtlich: „Die Wissenschaft ist für uns zur Religion geworden.“
Das ist leider noch heute so, nur ist es den meisten Medizinern heute nicht mehr bewusst. Und diese Religion tritt äußerst zwingend und dogmatisch auf. „Was hast du an der Uni zu suchen, wenn du nicht an die Wissenschaft glaubst“, lautete kürzlich die Stellungnahme einer holländischen Hochschullehrerin, die ihre Studenten am liebsten dazu zwingen würde, am aktuellen weltweiten Experiment teilzunehmen, bei dem modifizierte Virengene eingespritzt werden.
Im Gegensatz zur extremen Horizontverengung des naturwissenschaftlichen Evangeliums gibt Paracelsus im Volumen paramirum eine Beschreibung der fünf Sphären, in denen eine Krankheit entstehen kann, und – ansatzweise – der fünf möglichen Heilweisen; die am weitesten ausgreifende Betrachtung, die man sich vorstellen kann.
Und was er bei Covid machen würde? Auf Grund dieses fünffachen Ansatzes würde er jeden einzelnen Patienten beurteilen und daraufhin zu einer passenden Behandlung kommen. Und Patient heißt: ein kranker Mensch – nicht ein Fall mit diesem oder jenem Testergebnis. Ob dieser Mensch ein bestimmtes Stückchen viraler Gensequenz bei sich trägt, würde ihn vermutlich eher wenig interessieren.
Ich möchte nur ein Beispiel dazu anführen, was ein solcher weiter reichender Blick beinhalten kann. Paracelsus kam auf seinen Wanderungen in einem Städtchen an – Sterzing in Tirol –, wo gerade ein Pestausbruch drohte, und schrieb sofort ein Büchlein mit Empfehlungen. Dies war damals bereits ein bekanntes Genre, so dass man sein Traktat gut mit anderen zeitgenössischen Pestschriften vergleichen kann. In den meisten dieser Schriften wird ausführlich die Diät erörtert, die helfen sollte, einer Erkrankung vorzubeugen oder sie zu überwinden. Man bekommt den Eindruck, dass wenig übrig blieb, was noch zu essen war. En anderes probates Mittel, um nicht infiziert zu werden (ja, das Wort Infektion war schon üblich, hatte nur nichts mit Mikroorganismen zu tun), bestand darin, durch große Feuer und das Räuchern aromatischer Kräuter die Luft zu säubern. „Mund-Nasen-Schutz“ für die gesamte Bevölkerung gab es damals noch nicht. Und was sagt Paracelsus dazu: Mit Kräuterduft könne man die Pest nicht aus der Luft schaffen; das könne man genauso gut sein lassen. Das Einzige, was man machen könne, sei, den Körper von innen her zu schützen, also das Milieu intérieur versorgen.
Und was die Diät betrifft: An Essen und Trinken solle man nichts ändern, sagt er, man solle sich vor allem nicht verrückt machen lassen und weiter leben, wie man es gewohnt ist. Er betont, wie wichtig es sei, sein normales Leben zu führen, sich keine Angst einjagen zu lassen und nicht zu viel über die Dinge nachzugrübeln. Dazu gibt er eine ganze Reihe Rezepte, um den Organismus von innen her zu schützen.
Ein ganz wichtiger Aspekt ist die Angst. Nun kannte die Pest eine Sterberate von etwa 50 % – doch noch etwas anderes als die 0,15 % von Covid. Die Angst war also sehr verständlich. Aber Paracelsus sah auch sofort, wie krankmachend Angst an sich ist. Er sah, dass viele Menschen einfach an der Angst starben. In den damaligen Pesttraktaten fehlt es denn auch nicht an ermahnenden Worten, dass man auf Gott vertrauen und nicht bange sein solle. Nun war Paracelsus mit Herz und Seele Christ – natürlich soll man auf Gott vertrauen. Aber er war auch Arzt und Menschenkenner genug, um zu wissen, dass man mit solchem Zureden Menschen, die wirklich von Angst ergriffen sind, nicht erreicht. Darum spart er sich hier alle salbungsvollen Worte und verordnet einfach ein Getränk, das man diesen Menschen geben solle.
Und der Tod, der gehörte damals noch ganz normal zum Leben. Man kann nicht immer jeden heilen; manche Patienten muss man gehen lassen – wenn sie am Ende ihres Lebens angekommen sind. Aufgabe des Arztes ist es, dies zu erkennen. In den Worten von Paracelsus klinkt das folgendermaßen, ich nenne noch zwei Punkte seines hippokratischen Eides:
„Das gelob ich:
– wo plag ist, faren lassen, und
– wo die natur verseit, nit weiter zu versuchen.“9
Er erkennt also zwei Instanzen an, die dem Arzt Grenzen setzen: göttliche Fügung und die Grenzen, die durch die Natur gegeben sind. Und wir? Von Gott ist heute im medizinischen Kontext sowieso schon lange keine Rede mehr. Doch inzwischen werden auch die natürlichen Grenzen des Lebens praktisch geleugnet. Ein gewaltiges technisches Arsenal wird aufgeboten, häufig eine Qual für diejenigen, denen damit „geholfen“ wird, immer nach der Devise, „Leben zu retten“. Ein holländischer Internist kommentierte mit Recht: „Wir retten keine Leben, wir zögern das Sterben hinaus.“
Paracelsus würde sich hier wohl sehr wundern, und das erst recht, wenn er sehen würde, wie wir, um ein Sterben hinauszuzögern, bewusst das Leben und die Gesundheit von Kindern aufs Spiel setzen. Dazu noch ein letzter Punkt aus seinem Eid: „Das gelob ich: kein kind dem gewalt befelen.“10
Für Paracelsus war der Tod natürlich ein ständiger Begleiter. Das gilt auch für seinen eigenen Tod, von dem er einmal sagte, dass er den Tod sterben würde, den er selbst gewählt habe.11 Ich fürchte, dass ihm das nicht ganz gelungen ist. Doch vorläufig sagt er noch: „Als ich auch nit allein mit dem wil beschlossen haben, sonder auch weiter für und für darvon schreiben. ob mir schon die hohen schulen nit folgen, ist mein will nit; dan sie werden noch nider gnug werden. ich wil euchs dermaßen erleutern und fürhalten, das bis in den lezten tag der welt meine gschriften müssen bleiben und warhaftig, und die euer werden voller gallen, gift und schlangen gezücht erkennet werden (…) mer wil ich richten nach meinem tot wider euch dan darvor. und ob ir schon mein leib fressent, so habt ir nur drek gefressen: der Theophrastus wird mit euch kriegen on den leib.“12
Und darin bekam er Recht. Während er zeit seines Lebens kaum etwas in den Druck befördern konnte, kam es zwanzig, dreißig Jahre nach seinem Tod zu einem stetig anschwellenden Strom an Publikationen. Noch vor Ende des Jahrhunderts erschienen seine gesammelten medizinischen Werke. Und im Jahrhundert nach ihm spielte der Paracelsismus eine entscheidende Rolle im medizinischen Denken.
Vielleicht ist dies eine der wichtigsten Lehren für uns: Manchmal muss man erst sterben, bevor man gehört wird. Doch der Tod ist nicht das Allerschlimmste, was einem passieren kann. Er bedeutet nicht, dass alles Mühen umsonst war. „Zeit bringt rosen. wer vermeint es seint alle frücht mit den erpern zeitig, der weißt nichts vom weinber lesen“, wie Wolfgang Talhauser ermutigend an Paracelsus schrieb.13
Die Sonne – die geistige Sonne, die über dem Leben von Paracelsus geschienen hat14 – geht um Mitternacht auf, wenn die Finsternis am tiefsten ist.
1 Paracelsus: Von Ursprung und Herkommen der Franzosen in Sämtliche Werke, Abteilung I: Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, herausgegeben von Karl
Sudhoff, München 1922-1933, Band VII, 242.
2 a.a.O., 297.
3 Paracelsus: Von hinfallenden Siechtagen der Mutter in Sudhoff (Hgb.) VIII, 346.
4 Paracelsus: Astronomia magna in Sudhoff (Hgb.) XII, 31.
5 Paracelsus: Labyrinthus medicorum errantium in Sudhoff (Hgb.) XI, 197.
6 Paracelsus: Intimatio in Sudhoff (Hgb.) IV, 3.
7 Paracelsus: Sendschreiben an den Rat der Stadt Nürnberg in Sudhoff (Hgb.) VIII, 131.
8 Paracelsus: Ius iurandum in Sudhoff (Hgb.) VI, 181 f.
9 ibid.
10 ibid.
11 Paracelsus: Paragranum in Sudhoff (Hgb.) VIII, 44.
12 a.a.O., 200 f.
13 Wolfgang Thalhauser, Brief an Paracelsus, abgedruckt in der Großen Wundarznei in Sudhoff (Hgb.) X, 14.
14 „Wie kan ich aber nit seltsam sein dem, der nie in der sunnen gewandelt hat?“ (Paracelsus an Joachim von Watt, zum Opus paramirum in Sudhoff (Hgb.) IX, 120.
Anschrift der Autorin
Elke Bußler
DE WOUDEZEL
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