Einer der ältesten Pflanzenkulte des Mittsommers ist der Sonnwendgürtel. Schon die germanische Fruchtbarkeitsgöttin Freya besaß einen solchen Zaubergürtel, und auch der Donnergott Thor soll seine Macht von einem magischen Kraut bezogen haben, das er um seine Lenden wand.
Das Gürten mit bestimmten Kultpflanzen der Sonnenwende sollte die reinigenden Kräfte der Sonne auf den Menschen übertragen. Ein alter Fruchtbarkeitszauber verbirgt sich dahinter. Denn wenn die Sonne im Mittsommer irdische Fruchtbarkeit bewirkt, dann beeinflussen ihre Gaben, die Sonnwendpflanzen, die menschliche Fruchtbarkeit ebenfalls.
Feuerbeschwörung mit Hexenmehl
Beginnen wir den Reigen der Sonnwendpflanzen mit einem kleinen Gewächs, dem wir in Nadelwäldern begegnen: dem Bärlapp (Lycopodium clavatum). Obwohl er das grelle Licht scheut, gehört er zu den Kultpflanzen der Sonnenwende und hieß daher auch »Johannisgürtel«. Augenzeugen berichteten, dass Druiden mit ihm die heiligen Sonnenfeuer beschworen. Mit einer einzigen Handbewegung lockten sie aus einem kleinen Feuer eine hohe Flammensäule hervor. Zu diesem Feuerzauber gebrauchten sie unter anderem die Sporen des Bärlapp. Wirft man eine Handvoll davon ins Feuer, dann zis cht eine mächtige Stichflamme auf. Den Christen waren solche Feuerbeschwörungen unheimlich. Sie nannten das Pulver kurzerhand »Hexenmehl«.
Dagegen war der Bärlapp den Heiden heilig, denn in seinem Namen stecken gleich zwei nordische Kraft- und Seelentiere: Bär und Wolf (griech. »lykos« = Wolf)! Das dritte Kraft- und Seelentier kommt mit dem Beinamen »Schlangenmoos« hinzu. Zur Sonnenwende wand man die Ausläufer einst um die Lenden. Wie andere Gürtelkräuter sollte die alte Kraftpflanze auf diese Weise die Fruchtbarkeit steigern. Den Johannisgürtel flechten wir heute allerdings nicht mehr mit Bärlapp, denn er steht längst unter Naturschutz.
Dafür handelt es sich um eine wichtige Arzneipflanze der Homöopathie. Aus den reifen Sporen bereitet man das homöopathische Lycopodium. Es eignet sich für herrische Naturen, die leicht in die Luft gehen, vor allem wenn man ihnen widerspricht. Sie entladen ihren Zorn meist explosionsartig. Schließlich gebrauchte man das schwefelgelbe Pulver lange Zeit als Schießpulver und erzeugte damit Theaterblitze. Menschen, für die es ein Konstitutionsmittel ist, sind ehrgeizig und ebenso durchsetzungskräftig wie der kleine Bodendecker, der den Waldboden mit seinen Ausläufern erobert.
Hinter manchem garstigen Chef oder Kollegen verbirgt sich ein Mensch, der eine Konstitutionsbehandlung mit Lycopodium gebrauchen könnte. Doch hinter der unfreundlichen Maske verbirgt sich oft Angst, Menschenscheu und mangelndes Selbstvertrauen. Auch Depressionen und Lebensüberdruss gehören zum Arzneimittelbild. Weil Hochpotenzen (z. B. Lycopodium D30) als Reaktionsmittel gelten, ist bei der Einnahme allerdings Vorsicht geboten. Schon eine Einzelgabe kann einen Vulkanausbruch der Gefühle auslösen. Solche Reaktionen sind manchmal eine Chance, tiefere Einblicke in die eigene Seelenstruktur zu gewinnen. Man sollte die feurige Pflanze aus dem düsteren Wald dennoch lieber mit sonnigen Mitteln kombinieren (z. B. mit Solunat Nr. 17). Dann stärkt der Bärlapp die eigene Mitte und gleicht das explosive Gemüt aus.
Sprossender Bärlapp
Kraftspendender Sonnenwendgürtel
Das bekanntere Gürtelkraut ist der Beifuß (Artemisia vulgaris), der in alten Kräuterbüchern oftmals »Sonnenwendgürtel« oder nur »Sonnenwende« hieß. Im Mittsommer beginnt die Staude, die wir entlang von Wegrändern antreffen, Blüten auszutreiben. Eben diese aromatischen Blüten speichern die allesheilenden Kräfte der Sommersonne.
Seinen Gattungsnamen hat der stark duftende Korbblütler von der Mondgöttin Artemis. Zusammen mit ihrem Bruder Apollon waltete sie des Amtes der Lichtbringerin. Wie ihr Bruder so trug auch Artemis ein safrangelbes Gewand. Von den Zyklopen hatte sie einen silbernen Bogen erhalten, mit dem sie auf Jagd ging und die Nacht erhellen konnte. Ähnlich wie der Mond die Sonnenstrahlen widerspiegelt, holt der ihr geweihte Beifuß das Licht in die Sonnenwendnacht. Lange Zeit war es üblich, sich in der Sonnenwendnacht mit Beifuß zu gürten. Zum Schluss sprangen die Menschen erst ins Wasser – Johannes war ja der Täufer – und dann mitten durch die läuternden Flammen des Sonnenwendfeuers hindurch. Anschließend warfen sie den Beifuß in die Flammen und brachten somit eine Art Rauchopfer dar, welches das ganze Jahr hindurch vor Krankheiten schützen und allerlei Dämonen vertreiben sollte.
Bis ins Spätmittelalter hinein stand der stark duftende Korbblütler in dem Ruf, dämonenfeindlich zu sein und trug daher – ähnlich wie das Johanniskraut – den Beinamen »Teufelsflucht«: »Der Teufel fürchtet den Beifuß, und wo Beifußwurzeln an das Haus genagelt sind, können keine bösen Geister herein, und das Gebäude ist vor Feuersgefahr geschützt.« (Ritter von Perger: Deutsche Pflanzensagen, 1864) Den Teufel treibt das Kraut jedoch mehr im übertragenen Sinne aus. Weltweit und seit Urzeiten räuchern Heiler und Schamanen mit Beifuß und vertreiben auf diese Weise allerlei Krankheitsgeister. Mit einer Beifußräucherung kann man die Aura einer Person reinigen, die Atmosphäre in einem Raum verändern oder ein heilsames Ritual eröffnen. Dazu kann man im Hochsommer einige Blütentriebe der Beifußstaude brechen, diese dann zum Trocknen aufhängen und schließlich zu Räucherbüscheln binden. Wenn in einem Haus die Streitgeister waren oder Gespenster umgehen, dann kann man durch das Räuchern dieser Büschel die antidämonischen Sonnenkräfte des Beifuß befreien.
Beifuß aus dem Kräuterbuch des Leonhard Fuchs
In China gebraucht man Beifußarten seit Jahrtausenden als Moxakraut. Dabei werden mit einer glühenden Beifußzigarre spezielle Akupunkturpunkte erhitzt, um den Fluss in den Meridianen (= Energiebahnen) wieder herzustellen. Insbesondere der Dämon der Melancholie mag den während einer Moxabehandlung freigesetzten Beifußrauch überhaupt nicht. Besonders bewährt hat es sich, den »Magen 36« (M 36) mit einer rauchenden Moxazigarre solange zu erhitzen bis sich eine etwa 2-Euro-Stück große Hautrötung zeigt. Denn der M 36 heißt auch »Punkt des göttlichen Gleichmuts« und verleiht in seelischen Ausnahmezuständen Durchhaltekraft.
Doch der Beifuß treibt noch viel mehr aus: Er leitet nämlich Giftstoffe aus dem Körper. Beifuß öffnet fast alle körpereigenen Ausscheidungswege: Er treibt den Harn und den Schweiß, fördert die Verdauung und bringt die Regelblutung ins Fließen. Während der Einnahme lässt sich dieser entgiftende Effekt gut beobachten: Körperausscheidungen riechen manchmal stärker, und vor allem der Schweiß kann dadurch zeitweise regelrecht stinken. Wenn Seele und Geist von Stoffwechselschlacken und Umweltgiften wie »vergiftet« sind und man sich ständig erschöpft fühlt, dann kann eine Teekur mit Beifußkraut manchmal wahre Wunder bewirken.
Dem Aberglauben zufolge macht der »bifot« den Wanderer unermüdlich. Wieder weist uns die Pflanzensignatur den Weg zum Heilgeist: Der rote Stängel zeigt den Kraftspender an. In der Tat regt Beifuß den Kreislauf an. Oft fühlt man sich schon nach ein oder zwei Tassen Beifußtee voller Energie und Tatendrang.
Doch zurück zur Mondgöttin Artemis, deren Kräfte in diesem Sonnwendkraut wirken. Die Blattunterseiten schimmern silbrig und deuten auf mondenhafte Heilkräfte hin. In der astrologischen Medizin ordnet man dem Mond unter anderem die Menstruation zu. Ähnlich wie der Mond Ebbe und Flut hervorruft, finden in der Gebärmutter im Einklang mit dem Mondrhythmus Aufbauprozesse wie Eisprung und Abbauprozesse wie die Mondblutung statt. Alle Artemisia-Gewächse, also auch Eberraute und Wermut, zählen zu den »Mutterkräutern«, die seit langem frauenheilkundlich Verwendung finden. Kräuterfrauen und Hebammen gebrauchen das Kraut zur Fruchtbarkeitssteigerung, zur Förderung der Menstruation sowie zur Geburtserleichterung.