„Die Weisheit hat keinen Feind, nur den, der sie nicht versteht.“
Paracelsus
Das Weltbild und die Heilkunst des Paracelsus unterscheiden sich grundlegend von dem, was man heute unter Medizin versteht. In unserer Zeit bestimmen High-tech, Genforschung, Statistiken, Wirkstoffanalysen, Tierversuche, synthetisch hergestellte Heilmittel und vor allem eine Profitmaximierung die Medizin. Der moderne Arzt muss weder die menschliche Seele ergründen, noch Naturphänomene beobachten oder Substanzen der Natur erforschen. Er muss sich auch nicht mit den unsichtbaren Schöpferkräften befassen oder kosmologische Faktoren berücksichtigen. Genauso wenig muss er die Kunst der Arzneiherstellung beherrschen, denn dafür gibt es schließlich Pharmafirmen.
Paracelsus hatte völlig andere Vorstellungen. Seiner Meinung nach sollte ein Heiler ein Meister der Philosophie, der Astrologie und der Alchimie sein. Sämtliche Erkenntnisse wären allerdings sinnlos, wenn man sich nicht gleichzeitig bemüht, ein tugendhafter Mensch zu sein. Auf diesen vier Säulen beruht das Weltbild des Paracelsus und ohne Kenntnis dieser Weltvorstellung kann man das Besondere seiner Heilkunst niemals verstehen, geschweige denn einen Nutzen daraus ziehen.
Das Licht in der Natur
Grundlegend zum Verständnis sind vor allem die ersten zwei Säulen der Heilkunst, die Philosophie und die Astronomie, die Paracelsus als Einheit ansah. Sie beruhen auf dem Jahrtausende alten Wissen der „Eingeweihten“, dessen Wurzeln man bis zu den ägyptischen Mysterienkulten zurückverfolgen kann, in denen man die Heilkunde noch als eine Initiation in die Geheimnisse der Schöpfung betrachtete. Heute fällt einem beim Thema Philosophie vielleicht der kategorische Imperativ Kants ein. Dass auch die Heilkunst philosophisch ist, darauf kommt man nicht so schnell, schließlich umfasst das heutige Medizinstudium nicht eine Philosophiestunde. Nach Paracelsus muss der Arzt aber gleichzeitig ein Philosoph sein, denn „wer die Philosophie nicht studiert hat (…), der gibt einen Arzt ab wie ein Kaminfeger einen Bäckerknecht“ (Paracelsus).
Für Paracelsus war Philosophie ein Weg zum Begreifen des Unsichtbaren, das in der Natur wirkt. Philosophie ist das Wissen über „das Licht in der Natur“ (Paracelsus) und sie ist „die Liebe zum Geist in der Natur“ (Rudolf Hauschka). Sie ist „die Erkenntnis der Gewächse der Erde und des Wassers, ihrer Natur und ihrer Kraft. Der ist auch ein Philosoph, der den Lauf des Menschen kennt, ihn erfahren hat und ihn erkundet“ (Paracelsus). Philosophie ist also eine Schule der geistigen und sinnlichen Wahrnehmung der Welt. Sie dient der Gotteserkenntnis, die nur durch die Liebe zur Schöpfung möglich wird.
Der kranke Mensch hat sich dagegen von der Natur entfremdet. Er ist im Zustand des Zweifels gefangen und blind für die Schönheit des Lebens. Aufgabe des Heilers ist es, ihm liebevoll wieder die Augen für das Wunderbare zu öffnen, denn „alle Erkenntnis der Welt, die wir Menschen auf Erden besitzen, stammt nur aus dem Lichte der Natur. Dieses Licht der Natur reicht vom Sichtbaren zum Unsichtbaren und ist hier so wunderbar wie dort. Im Lichte der Natur ist das Unsichtbare sichtbar“ (Paracelsus).
Veranstaltungstipps
Die Medizin war im ausgehenden Mittelalter in einem desolaten Zustand, worüber sich Paracelsus immer wieder bitter beklagte. Die meisten Krankheiten galten damals wie heute als unheilbar. Auf den Gedanken, dass Krankheiten individuelle Erscheinungen sind, die man individuell behandeln muss, kam man nicht.
Paracelsus sah die Dinge natürlich ganz anders. Er glaubte noch an die Weisheit, dass gegen jedes Leiden ein Kraut gewachsen sei. Schon als Kind lernte er die Heilkräfte der Natur kennen. Sein Vater war Landarzt und heilte die Krankheiten zumeist mit selbst gesammelten Kräutern, alchimistischen Essenzen und einfacher Chirurgie. Von ihm lernte er aber nicht nur die Kräfte der Heilpflanzen und die praktische Heilkunst, sondern auch die Alchimie, mit der sich sein Vater viel beschäftigte. Die Lehrer auf der Universität konnten dem jungen Paracelsus also nicht viel Neues oder Besseres beibringen.
Dennoch absolvierte Paracelsus wie jeder andere Arzt, die damals übliche Ausbildung, die allerdings nur wenig mit Medizin zu tun hatte. Nur selten stand das Studium am Krankenbett auf dem Stundenplan und noch seltener das Studium der Natur. Unzufrieden mit seiner Ausbildung wurde Paracelsus zum Pionier auf dem Gebiet der Feldforschung. Er untersuchte lieber die Naturerscheinungen und die Heilmittel in ihrer natürlichen Umgebung. Vor allem war er sich nicht zu fein, vom einfachen Volk zu lernen. Auf seinen zahlreichen Wanderungen quer durch Europa hatte er dazu genug Gelegenheit. Seine Kollegen ließen sich dagegen höchstens in einer Sänfte von einem Ort zum anderen tragen. Das Durchstreifen der Natur zu Fuß war damals verpönt und nur etwas für Arme und Landstreicher. Aber nur der Wanderer sieht, was für Schätze die Natur bereit hält und sie offenbart sich nur dem, der an ihrem Puls fühlt.
Gedenkstein am Geburtsort des Paracelsus an der Teufelsbrücke bei Einsiedeln, Schweiz, Foto Olaf Rippe
Um die potenziellen Heilkräfte von Substanzen zu entdecken, führte er Naturbeobachtungen durch und setzte diese in Beziehung zum Menschen. Dies war ein neuer und ungewöhnlicher Weg und nicht typisch für seine Zeit. Ärzte beschäftigten sich damals lieber mit der antiken Säftelehre und diskutierten die Texte antiker und arabischer Autoren. Zudem lehnten sie die Erfahrungen der Volksmedizin meistens ab, weil es unter ihrer Würde war, sich mit den Erfahrungen Ungebildeter zu befassen. Neue Denkansätze wurden außerdem unterdrückt oder wegdiskutiert, wenn sie nicht mit den Lehren Galens oder Avicennas übereinstimmten. Ganz ähnlich ist heute der Konflikt zwischen der universitären Medizin und der Alternativmedizin. Anstatt voneinander zu lernen, führt man sinnlose Grabenkämpfe. Nach Paracelsus ist jedoch der Respekt vor dem Wissen und der Erfahrung anderer besonders wichtig. Er meinte sogar, „dass der Arzt nicht alles, was er können und wissen soll, auf den Hohen Schulen lernt und erfährt, sondern er muss auch zeitweise zu alten Weibern, Zigeunern, Schwarzkünstlern, Landfahrern, alten Bauersleuten und dergleichen mehr unachtsamen Leuten, in die Schule gehen und von ihnen lernen. Denn diese haben mehr Wissen von solchen Dingen als alle Hohen Schulen“.
Seine Naturstudien hatten ihm gezeigt, dass sich die Vielfalt der Heilmittel mit ihren besonderen Merkmalen in den unterschiedlichen Krankheitsbildern widerspiegeln. Für ihn offenbarte sich jedes Heilmittel durch sichtbare, aber auch durch unsichtbare Zeichen. Diese kann man nur entdecken, wenn man die Natur mit allen Sinnen erforscht. Manche Heilmittel enthüllen dem aufmerksamen Betrachter ihr heilkräftiges Wesen durch ihre spezifische Farbe und Zeichnung, andere durch ihre Form, ihren Geruch oder ihren Geschmack. Zu den Zeichen gehörten für ihn auch die chemischen Eigenschaften eines Stoffs und seine Wirkungen als Arznei oder die unsichtbaren Kräfte der Gestirne. Diese Zeichen muss man nun mit Krankheitsbildern und Menschentypen vergleichen. Je mehr sich die Zeichen von Pflanzen, Mineralien oder Tieren, mit der zu behandelnden Krankheit decken, desto wahrscheinlicher hat man eine potentielle Arznei gefunden. Hierzu schrieb Paracelsus: „Betrachtet beispielsweise die Rose oder Lilie. Zu welchem Zweck hat Gott ihnen ihre Form gegeben? Und allen anderen Dingen ebenso. Er hat den Arzt geschaffen und lässt ihm die Medikamente aus der Erde wachsen, und zwar in einer Weise, dass er die Anatomie dieser Erdgewächse erkennt. Dann soll sich der Arzt den Krankheitsanatomien zuwenden. Er wird dann eine Übereinstimmung von Krankheiten und Heilmitteln finden und erkennen, welche zueinander gehören. Aus der Parallelität dieser beiden Anantomien erwächst der Arzt, ohne sie ist er nichts. (…) So sollen wir Gott in seinen Wunderwerken erkennen und in uns ermessen, dass alle sonderbaren Bildungen, die es gibt, von der gleichen Natur sind, wie die seltsamen Krankheitsbilder“ (Paracelsus).
Die Welt der Heilmittel und Erscheinungen nach den Zeichen zu beurteilen, ist die Lehre von den Signaturen, die Paracelsus zwar nicht erfunden, aber zu neuem Leben erweckt hat. Das Verständnis für die Zeichensprache der Natur war für ihn der wahre Weg zur Erfahrung des Göttlichen, denn „alle Seligkeit liegt in der Erkenntnis der Werke, die er (Gott) getan hat“ (…). Wunderbar ist Gott in seinen Werken (…) die man täglich mit Fleiß erforschen soll. So wandelt man auf den Wegen Gottes“ (Paracelsus).
Diesen Erkenntnisweg nannte er die „Philosophia Adepta“ – „sie weiß alle verborgenen Dinge, alle Geheimnisse, alle Arcana (Heilkräfte) der Natur, sie weiß, was in einem jeden Kraut, Samen und in einer jeden Wurzel zu finden ist“ (Paracelsus). Da aber selbst alchimistische Arzneien in ihrer Heilkraft beschränkt sind und auch die Zeichen der Natur einen manchmal im Stich lassen, bestand die Heilkunst des Paracelsus auch nicht nur im Rezeptieren von Medikamenten. Chirurgie, Diätetik, Suggestivtherapien, Amulette und psychotherapeutische Techniken (wahrscheinlich auch die Hypnose) gehörten ebenfalls zu seinem Repertoire. Seine wichtigste Waffe im Kampf gegen die Dämonen der Krankheit war jedoch sein unerschütterlicher Glaube an eine liebevolle Schöpferkraft und mit diesem Glauben und seiner Liebe zum Kranken, heilte er auch das scheinbar Unheilbare.
Der Ouroboros, Symbol für die zyklische Natur des Lebens, inmitten der Vier Elemente; Aquarell von Fred Weidmann
Kosmische Harmonien
Die zweite Säule, auf der die paracelsische Heilkunst beruht, ist die Astrologie. Keineswegs ist darunter ein Aberglaube oder eine primitive Form der Astronomie zu verstehen. Im 16. Jahrhundert gab es zwischen beiden Denkweisen ohnehin noch keinen Unterschied. Berühmte Astronomen wie Nikolaus Kopernikus oder Johannes Kepler verstanden sich ebenfalls als Astrologen. Während sie als Astronomen die Himmelsbewegungen erforschten, erläuterten sie als Astrologen deren Bedeutung für das Schicksal. Diese Kunst lässt sich bis in babylonische Zeiten zurückverfolgen. Schon vor über 5000 Jahren kannte man die Bedeutung der zwei Lichter Sonne und Mond sowie der fünf Wandelplaneten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, deren Bahnen man mit bloßem Auge beobachten kann.
Das Bewusstsein über die Himmelskräfte war ein wichtiger Schritt in der Entwicklung des menschlichen Geistes. Es war der Beginn der Metaphysik, denn von nun an erhob man unsichtbare kosmische Urgewalten zum Schöpfungsprinzip. Die Kenntnis des Himmels wurde zu einem Weg der Erkenntnis des Göttlichen. Zuvor kannte der Mensch nur die elementaren Gewalten der irdischen Natur, nun aber auch die Abhängigkeit natürlicher Prozesse von kosmischen Kräften.
Durch die Kenntnis der Sternenläufe konnte man sein Leben auf diese Kräfte ausrichten. Sakrale Bauwerke des Menschen, mit denen man Abbilder des Kosmos schaffen wollte, wie die Pyramiden, Stonehenge oder viel später die Kathedrale von Chartres, zeugen bis heute von der menschlichen Sehnsucht nach kosmischer Harmonie. Die zwei Lichter Sonne und Mond bilden in der paracelsischen Astrologie die Grundlage des Lebens. Die Sonne verkörpert das Bewusstsein, das Männliche und das Zeugende. Der Mond ist dagegen die Erinnerung, das Weibliche und das Gebärende. Mars ist das auflösende und Venus das erhaltende Prinzip. Jupiter und Saturn sind dagegen mit dem Stofflichen verbunden. Jupiter stellt das Prinzip der Form dar, während Saturn die Struktur verkörpert; mit ihm verbunden sind auch die chemischen Elemente, aus denen sich die Materie aufbaut. Gleichzeitig verkörpert er als Tod die Vergänglichkeit. Bleibt von den Sieben noch der Merkur. Er verkörpert den Chemismus und alle Wechselwirkungen, ohne die ein Leben niemals möglich wäre. Als Götterbote trägt er außerdem das kosmische Licht ins ganze Universum.
Für Paracelsus war die Astrologie die Mutter aller magischen Künste und der wahren Heilkunde. Liest man seine Schriften, stellt man aber überrascht fest, dass er zwar die Astrologie als wichtige Säule der Medizin sah und auch viele Angaben zu deren heilkundlichen Nutzung machte, auf Horoskopinterpretationen aber nahezu vollständig verzichtete. Er nutzte für die Heilkunde weniger das Geburtshoroskop, sondern mehr die Harmonien des Kosmos, die er spiegelbildlich in der Natur und im Menschen verkörpert sah. Die Aspektlehre trat dabei in den Hintergrund. Die Grundlage seiner Astrologie sind die hermetischen Lehrsätze.
Der bekannteste von ihnen lautet: „In Wahrheit, gewiss und ohne Zweifel: Das Untere ist gleich dem Oberen und das Obere gleich dem Unteren, zu wirken die Wunder des Einen“ (Tabula Smaragdina; Hermes Trismegistos). Demnach ist der Mensch, als Ebenbild Gottes, ein Abbild des Kosmos. Bis heute werden die Zuordnungen des Paracelsus in der astrologischen Medizin berücksichtigt, einige Beispiele von Planet, astraler Gefühlswelt und Metallen als Heilmittel: Saturn – Melancholie / Milz / Blei; Jupiter – Stolz / Leber / Zinn; Mars – Zorn / Galle / Eisen; Sonne – Egoismus / Herz / Gold; Venus – Eifersucht, Niere, Kupfer; Merkur – Wechselsucht, Lunge, Quecksilber; Mond – Trägheit, Gehirn, Silber. Bei Willensschwäche hilft Eisen ebenso wie bei Zerstörungswut. Mit Silber lassen sich Leiden des Gehirns wie Schlafstörungen behandeln. Gold hilft bei Selbstzweifel und bei Hypotonie, aber auch bei einer Neigung zum Größenwahn und zur Hypertonie. Es ist jeweils nur eine Frage der Dosierung, ob eine Arznei einen Planetenprozess fördert oder hemmt. Bevor aber das zugeordnete Metall eine Disharmonie der Seele heilen kann, muss man es auf alchimistischem Wege zubereiten, womit wir zur dritten Säule der Heilkunst kommen.
Hermes – Hüter alchemistischer Weisheit, Foto Olaf Rippe
Die Kunst der Alchemie (auch Alchimie oder Alchymie)
Hinter allen astralen Erscheinungen vermutete Paracelsus eine geistartige Urkraft, die in der Materie als „Quintessenz“ unsichtbar verborgen ist. Sie ist das eigentlich Heilkräftige, das man durch die Kunst der Alchimie aus den Naturstoffen gewinnt und in eine wahrhaft heilende Arznei verwandelt, die Paracelsus „Arkanum“ nannte. Einer der Kunstgriffe des Alchimisten, um das Geistartige aus dem Groben der Materie zu befreien, ist die Destillation. Ein bis heute sehr beliebtes Universalelixier, das man auf diesem Wege gewinnt, ist z.B. der Melissengeist. Auch die Herstellungsmethoden in der Homöopathie sind eine alchimistische Methode, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Ziel ist immer die Schwingungserhöhung der Arzneiinformation. Hierbei zeigt sich, dass substanzielle Stoffe (stofflich bis D6) mit einer niederen Schwingung auf der körperlichen Ebene wirken. Hat man durch alchimistische Methoden die Schwingungsebene verfeinert, wirkt der gleiche Stoff eher auf der geistigen Ebene (Beispiel: Eisen = Ferrum metallicum D12 bei Willensschwäche und als D6 bei Anämie und Infektneigung).
Charakteristisch für die Arzneikunst des Paracelsus ist die Wahrung der Entität einer Natursubstanz. Sie wird nur verwandelt und nicht labortechnisch zerstört, um synthetische Stoffe herzustellen. Eine der Forderungen des Paracelsus war übrigens auch, dass ein wahres Heilmittel immer ungiftig und nebenwirkungsfrei sein sollte, dieses Kriterium erfüllen moderne Arzneien meistens nicht.
Der moderne Wissenschaftler untersucht das Prinzip von Ursache und Wirkung, indem er quantitativ bestimmbare Stoffe erforscht. Durch Analysen trennt er das Eine vom Anderen, um in der chemischen Struktur isolierbarer Stoffe das Wesen einer Substanz zu finden. Um die Absurdität zu begreifen, muss man sich nur vorstellen, dass man zum Verständnis dieses Artikels, das bedruckte Papier im Labor auf seine Zusammensetzung hin untersucht, anstatt zu lesen.
Pharmazeuten wollen heute meistens spezifische Wirkstoffe in Natursubstanzen finden, die man synthetisch nachahmen kann, um die scheinbare Unberechenbarkeit der Natur beherrschbar zu machen; außerdem lässt sich nur auf diese Weise ein Patent anmelden und Geld verdienen – Profit ist die Triebfeder eines Pharmakonzerns und nicht die Nächstenliebe! Ein suggestiver Kunstgriff der modernen Pharmazie besteht denn auch darin, dem unbedarften Konsumenten zu vermitteln, das Naturarzneien gefährlicher seien, als Designerarzneien. Wo kämen wir denn hin, wenn der Kranke seine Antibiotika auf der Wiese nebenan sammeln würde! Um die vermutlichen Heilwirkungen naturfremder Stoffe experimentell zu bestätigen, führt man zunächst Tierversuche durch und wenn die Ergebnisse es einigermaßen zulassen, kommt es anschließend zum Experiment am Menschen. Nicht nur, dass durch synthetische Heilmittel oftmals Krankheiten erzeugt werden, wo sie doch eigentlich heilen sollten, es sterben jährlich auch Abertausende von Versuchstieren auf qualvolle Weise und nicht selten sterben auch Menschen. Geschieht dies nur ein einziges Mal bei Naturheilmitteln, verbietet man diese sofort. Meistens genügt sogar der bloße Verdacht. Oder man stellt sie unter Rezeptpflicht, was einem Verbot gleichkommt, weil die meisten Ärzte keine Naturheilmittel anwenden. Würde man das gleiche Prinzip auf synthetische Arzneien anwenden, gäbe es sie schlichtweg nicht mehr, weil man sie alle verbieten müsste. Es stimmt einen an dieser Stelle vielleicht nachdenklich, dass Naturheilmittel in Deutschland nur ca. 1% des Pharmaumsatzes ausmachen, naturheilkundliche Behandlungen aber ca. 20% – denkt man an die Aktienkurse der Pharmalobby, sind diese Zahlen wirklich beängstigend!
Arzneien sollen heute messbare pathologische Prozesse im Menschen möglichst exakt und kontrolliert beeinflussen, damit abweichende Werte schnell wieder in der Norm sind. Der Maßstab von Gesundheit sind also „objektive“ Messwerte, die immer nur die sichtbare Spitze eines Eisberges darstellen und nicht die Befindlichkeit des Patienten, die unsichtbar und nicht messbar, unter der Wasseroberfläche ruht. Das bedeutet gleichzeitig, dass man meistens erst therapeutisch aktiv wird, wenn etwas von der messbaren Norm abweicht.
Paracelsus sah dagegen in der Prophylaxe das wichtigste Heilverfahren. Die Ursachen von Krankheit vermutete es nicht im Stofflichen, sondern im Geist des Menschen, der ein Spiegelbild metaphysischer Kräfte ist. Potenzielle Heilmittel muss man seiner Meinung nach daher vom Stofflichen befreien, denn nur etwas Vergeistigtes kann auf den Geist heilend einwirken.
In der modernen Schulmedizin gibt es diese Anschauung nicht, weil das Geistartige keine quantifizierbare Größe darstellt und daher scheinbar unbrauchbar ist. Da man Krankheiten heute nur noch als eine messbare Abnormität begreift, geht man davon aus, dass auch nur etwas Stoffliches heilen kann, andernfalls bleibt nur der Psychologe oder der Theologe als mögliche Lösung oder die Krankheit gilt als unheilbar. Paracelsus war dagegen der Meinung, dass nur ein Studium der geistartigen Ordnungskräfte des Lebens das notwendige Wissen über die Natur des Menschen und die Heilkunst ermöglicht.
Einerseits wollte er durch die Laborarbeit ein tieferes Verständnis für das Unsichtbare in der Natur gewinnen. Andererseits wollte er auf diese Weise die geistartigen Heilkräfte, die in jeder natürlichen Substanz mehr oder weniger vorhanden sind, freisetzen. Sein Ziel war die Entdeckung hochwirksamer Arzneimittel. Unter der Tugend einer Arznei verstand er aber keine messbare Größe, beziehungsweise einen Wirkstoff, sondern das Potenzial der Arznei, im Menschen Erkenntnis zu schaffen, damit wieder ein Einklang mit dem Göttlichen möglich wird.
Er brauchte jedenfalls keine Tierversuche, um ein guter Heiler zu sein. Auch Habgier, Machthunger und reiner Wissensdurst, der auf die Geschöpfe der Natur keine Rücksicht nimmt, prägten nicht seinen Charakter. Seine Motive und Ziele waren völlig andere. Die Schöpfung war für ihn kein unbeseeltes Rohstofflager, sondern etwas Göttliches und absichtlich Unvollkommenes, das der Mensch, durch sein Nachdenken und seine Tätigkeiten, erkennen und zur Vollkommenheit bringen soll, um Gott zu gefallen. Die Suche nach Arzneien und die Ausübung der Heilkunde, waren für ihn ein Ausdruck tätiger Nächstenliebe und ein religiöser Akt, um in Demut den göttlichen Geboten zu folgen. Daher sah er in der Natur auch kein Objekt der Ausbeutung, sondern eine Offenbarung Gottes und einen spirituellen Lehrmeister, der ihm alle Zusammenhänge besser erklären konnte, als jeder Mensch und jedes Buch.
Aus dem stummen Buch, Mutus liber – Mann und Frau arbeiten gemeinsam am Stein der Weisen
Von den Tugenden des Heilers
Mit der Tugend kommen wir zur vierten und wichtigsten Säule der Medizin, denn sie trägt die anderen drei. Laut Paracelsus ist ohne sie alles andere auf Sand gebaut, was für Erkenntnisse man durch Philosophie, Astronomie und Alchimie auch immer gewonnen haben mag. Unter der vierten Säule verstand Paracelsus die Integrität des Heilers und sein Können beziehungsweise seine Virtuosität. Daher bezeichnet die Tugend auch die verschiedenen Möglichkeiten des Heilens. Nach Paracelsus gibt es drei Wege, um ein guter Therapeut zu sein: Entweder wurden einem die Fähigkeiten in die Wiege gelegt, oder man hatte einen guten Lehrer, der dritte und wahre Weg ist jedoch die Berufung durch Gott Um berufen zu sein, muss man durch eigenes Bemühen die Nächstenliebe in sich entwickeln. Sie ist die Grundlage des Heilens und nicht das Streben nach Ruhm oder Geld. Mit Reichtum, schönen Kleidern und anderen Statussymbolen hatte Paracelsus nicht viel im Sinn: »Die in weichen Kleidern und in Frauengemächern erzogen werden und wir, die wir unter Tannenzapfen aufwachsen, verstehen einander nicht gut« (Paracelsus). Im Gegensatz zu anderen seiner Zunft lebte Paracelsus immer bescheiden, und er behandelte weniger betuchte Patienten prinzipiell umsonst oder gegen Kost und Logis. Paracelsus ging sogar so weit, seinen ohnehin kärglichen Besitz zu veräußern, um damit Armen zu helfen.
Neben Bescheidenheit, Nächstenliebe und einer gesunden Portion Optimismus muss man als Heiler auch demütig vor Gott sein: »Du musst einen ehrlichen, redlichen, starken, wahrhaftigen Glauben an Gott haben, mit all deinem Gemüt, Herz, Sinn und Gedanken, mit aller Liebe und allem Vertrauen.« (Paracelsus)
Auch wenn Paracelsus zutiefst an Gott glaubte, ein praktizierender Christ, wie ihn die Kirche liebt, war er nicht, wie viele Textstellen belegen: »Ich behaupte und sage, es sei nützlicher, wenn man den Armen ihre Schäden wäscht, wenn deren Wunden verbunden werden, als wenn man in der Messe steht, um in der Prim und in der Terz in Vesper und Complet zu plärren. Ihr saget, ich sei deshalb unchristlich und handle gegen den christlichen Glauben. Ich habe es jedoch von Christus, der sagt: ›Du sollst speisen, tränken und kleiden‹, an die Messe hat er aber nicht gedacht.« (Paracelsus). Seiner Meinung nach schaut Gott in die Herzen der Menschen, ihre Tempel und Rituale dagegen bedeuten ihm nichts. Gott war für ihn in der Natur verkörpert, und das wahre Gebet war die Liebe zur Schöpfung – dafür braucht es weder eine Kirche, noch Worte oder Devotionalien.