Die Pflanzenfamilie der Doldengewächse (Apiaceae) umfasst mehr als 2600 Arten. Ihr entstammen Gartengewürze wie die Petersilie, Heilwurzeln wie Bibernelle und Meisterwurz, Nahrungspflanzen wie Möhre und Pastinak, Räucherstoffe wie der Teufelsdreck und mit dem Schierling sogar eine der giftigsten heimischen Pflanzen. Die Gestaltenvielfalt reicht dabei von der stattlichen Erzengelwurz, die zuweilen eine Höhe von drei Metern erreicht, bis hin zum unscheinbaren Sanikel, der sich im Schatten unserer Wälder verbirgt.
Obwohl diese Familie stark variiert, haben doch alle Doldenblütler eines gemein: Sie tragen flache, halbkugelige oder kugelige Doldenblüten, die sich aus etlichen Strahlenbüscheln zusammensetzen, so dass sie wie kleine Feuerwerke anmuten, die während der Blütezeit aus Beeten, Wald und Wiesen aufleuchten. Die Dolden erinnern auch ein wenig an einen Sternenhaufen oder an eine nach allen Seiten gerichtete Antenne, die kosmische Energien aufnimmt.
Von den Elementen dominiert zunächst sichtbar die Luft. Die gefiederten Blätter scheinen mehr zu schweben, als von der Pflanze getragen zu werden. Hier reicht die Formenvielfalt wiederum vom grob gefurchten Blatt des Bärenklau über das edel gezähnte Blatt der Angelika und die schmetterlingsartigen Blätter der Bibernelle bis hin zu den filigran gefiederten Blättern des Dill. Luftig ist bei den Doldenblütlern oft auch der Stängel, denn dieser ist z.B. bei der Angelika und beim Schierling hohl, beim Wasserschierling ist dagegen die Wurzel luftig gekammert (beide Schierlingarten sind extrem giftig, was wiederum typisch für das Element Luft ist). An der Dominanz des Luftelements erkennt man auch die stoffwechselanregende Potenz, die den Vertretern dieser Pflanzenfamilie innewohnt; einige von diesen sind als Bestandteil von Heilkräuterschnäpsen, Lebenselixieren oder Magenbittern beliebt.
Veranstaltungen Phytotherapie
Was andere Sommerblüher in Duft und Farbe legen, findet bei den Doldengewächsen im Geschmack Ausdruck, der vom krautigen Kerbel über die süßlichen Vertreter wie Möhre und Süßdolde oder den würzigen Koriander bis hin zur scharfen Meisterwurz reicht. Dadurch zeigt diese Familie auch ihren Angriffspunkt im menschlichen Körper: den Verdauungsapparat. Kein Wunder, dass die Heilkräfte der Doldenblütler vom Mund bis zum Dickdarm reichen; z.B. betäubt Angelikasaft lokal und heißt daher Zahnwurz, während die Meisterwurz aufgrund ihrer Schärfe insbesondere auf den Dickdarm wirkt. Nicht umsonst konnten einige von ihnen als Gewürze Backstube und Küche erobern – man denke dabei nur an die Brotgewürze Anis, Koriander und Kümmel. Aber auch auf Dill, Fenchel, Liebstöckel, Pastinak, Petersilie oder Sellerie würden – allein wegen der belebenden Wirkung auf das Liebesleben – weder die einfache Bauernküche noch die Gourmetküche verzichten wollen. Eine gute Suppe kommt eben kaum ohne Liebstöckel, Petersilie oder Sellerie aus, wobei diese Suppengewürze gleich mehrere Funktionen erfüllen: Einerseits erfreuen sie den Gaumen, regen die Verdauung an und »zertheilen die Winde«, wie man in den alten Kräuterbüchern liest. Andererseits wirken sie harntreibend und schwemmen Ödeme (Wassereinlagerungen) aus.
Der Liebstöckel fördert darüber hinaus sogar die Ausscheidung von Metallen wie Quecksilber und sollte daher während Blutreinigungs- oder Fastenkuren reichlich genossen werden. Schon Paracelsus gebrauchte den Liebstöckel als Gegengift: »Succus Ligustici (= Liebstöckelsaft) mit Honig gekocht kann zu Thyriac gegeben werden. Auch Saft von Ostritium oder Angelica. Dies ist ein Gegenmittel gegen Gift« (III/565). Die Kräuterkundigen des Mittelalters sprachen jedoch auch der Petersilie, dem Sellerie und vielen anderen Doldengewächsen eine giftwidrige Wirkung zu.
Erzengelwurz aus dem Kräuterbuch von Hieronymus Bock
Was die Manneskraft stärkt
Wie bereits erwähnt, haben diese Gewürzpflanzen sogar eine aphrodisierende Wirkung, was beim Liebstöckel schon im Namen zum Ausdruck kommt: Er deutet darauf hin, dass er den »Stock« (= Penis) »lieb« macht. Dabei spielt zum einen der harnwegsreizende Effekt des »Maggikrauts« eine Rolle, zum anderen enthält der Liebstöckel hormonartige Duftlockstoffe, sogenannte Pheromone, die über das Riechhirn den Geschlechtstrieb anheizen.
Ebenfalls harntreibend bis harnwegsreizend und aphrodisierend wirkt die Petersilie, von der es einst im Volksmund hieß: »Die Petersilie bringt den Mann aufs Pferd und die Frauen unter die Erd.« Sie stärkt also die Manneskraft: Vor allem in Norddeutschland zeugen oft noch Petersiliengassen vom einstigen Gebrauch als Abtreibungspflanze – was manche Frauen unter die Erde brachte, weil sie bei ihren verzweifelten Abtreibungsversuchen verbluteten. In den Petersiliengassen waren einst die Frauenhäuser angesiedelt, in denen Abtreibungen gang und gäbe waren.
Nicht zuletzt zählen noch Pastinak (Pastinaca sativa) und Sellerie (Apium graveolens) zu den Kardinalgewürzen in der Liebesküche. Daher schrieb z.B. Leonhard Fuchs: »Die (Pastinak-)wurtzel gesotten unnd getruncken treibt den harn/un reitzt zu den Eelichen wercken (eheliche Werke = Geschlechtsverkehr) « (1543/1964). Paracelsus sprach der Pastinakwurzel zwar keine großartigen Heilkräfte zu: »Sie ist zu nichts besser als zum Essen. Die Wurzeln, die Nahrungsmittel sind, haben nicht viel von einem Heilmittel in sich. So ist auch die Pastinak etc.« (III/573). Doch dank ihrer anregenden Wirkung auf die Libido des Mannes gab es Pastinak bis vor kurzem noch als Arznei in Apotheken zu kaufen (Aslan Herrenkapseln). Trotz der guten Verträglichkeit wurde dieses pflanzliche Liebesmittel leider rasch von Potenzmitteln wie Viagra verdrängt. Dafür hat das karottenartig schmeckende Wildgemüse in den letzten Jahren wieder vermehrt in die Bioküche Einzug gehalten und wird inzwischen rege zu Babybrei verarbeitet oder als Suppengemüse verwertet.
Eine die Lebensgeister erweckende und die Sexualkraft anfeuernde Wirkung geht auch von anderen Doldengewächsen aus. Allen voran sei hier die Meisterwurz genannt, die Adam Lonitzer in seinem Kräuterbuch lobt: »Die (Meister-)Wurzel gessen/macht wol dauen/was der Magen verundaulichs in ihm hat/treibt den Harn/Lenden stein und Frauenzeit/bringt Schweiß/vertreibt die Wassersucht/und hilfft dem kalten Mann gar gewiß wieder auf den Gaul« (1557/1962). Will man die Lebensgeister wecken und die Sexualkraft anfeuern, wie es Lonitzer beschreibt, dann ist das Lebenselixier Aquavit (Solunat 2) von Soluna einen Versuch wert. Es ist eines der wenigen Lebenselixiere, das noch die Meisterwurz enthält.
Engelhafte, umhüllende Signatur der Waldengelwurz
König und Königin unter den Doldengewächsen
Die Meisterwurz verfügt, wie auch die Bibernelle, über eine unvergessliche Schärfe, die eine Wirkung auf den Darm anzeigt. »Scharf« entspricht in der Traditionellen Chinesischen Medizin dem Element Metall, das über Lunge und Dickdarm regiert; entsprechende Pflanzen sollen die Himmelsenergie (Chi) im Körper anreichern. Die Scharfstoffe haben jedoch auch eine erwärmende Wirkung auf die Sexualorgane. Außerdem gehören die scharf schmeckenden Wurzeln der Bibernelle und der Meisterwurz zu den wichtigsten Heilmitteln der Volksmedizin: Egal, ob es darum geht, Gift aus dem Blut oder Schleim aus den Lungen auszutreiben, die Verdauung anzufeuern oder gegen Seuchen wie die Pest anzukämpfen – Bibernelle und Meisterwurz verfügen über große Heilkräfte.
Als ganz ähnlich in ihrer Kraft und Wirkung, nur als viel edler erweist sich die Erzengelwurz. Sie zeigt am deutlichsten, was der anthroposophische Heilpflanzenkundige Wilhelm Pelikan meint, wenn er über die Doldenblütler schreibt, dass sie »über das Pflanzliche hinaus, dem Tierhaften entgegen« streben: Wie ein Engel in Pflanzengestalt erscheint das majestätische Gewächs, wenn es kurz vor der Blüte steht und als Lichtbringer fungiert. Der gelbliche Pflanzensaft enthält wie auch andere Doldengewächse Furanocumarine, die die Haut für Sonnenlicht empfänglicher machen. Wenn der Saft auf die Haut gelangt, kann er in Kombination mit UV-Licht heftige Hautentzündungen mit Brandblasenbildung hervorrufen, und leider macht auch die längerfristige oder hochdosierte Einnahme der Pflanzenextrakte lichtempfindlicher – allerdings niemals in dem Maß, wie es bei Hautkontakt der Fall ist.
Gebraucht man die Angelika jedoch in der rechten Weise als Arznei, dann erhellt und erwärmt sie die Seele bei Angstzuständen und Depressionen wie kaum eine andere Heilpflanze. In seelischen Ausnahmezuständen wirkt es meist schon beruhigend, wenn man den Betroffenen eine Pflanze mit dem vielversprechenden Namen Engelwurz zur Seite stellt. Der zarte Blütenduft ist zwar viel feiner, aber er erinnert doch an Baldrian. Beide, Angelika- und Baldrianblüten, enthalten Isovaleriansäure, einen Duftstoff, der auch im menschlichen Schweiß vorkommt und in seelischen Krisensituationen das erdrückende Gefühl der Einsamkeit etwas mildert und Trost spendet. Die Wurzel schmeckt feurig-würzig und entfaltet eine viel mildere Schärfe als Bibernelle und Meisterwurz. Dennoch offenbart sich das Sonnenfeuer bereits im Mund, der warm und pelzig wird. Die Angelikawurz erwärmt auf sanfte Weise, dafür aber tiefgreifend Leib und Seele. Die majestätische Gestalt, die lichte Ausstrahlung, der gelbliche Pflanzensaft sowie der mild-scharfe Geschmack und das erwärmende Wesen machen dieses Gewächs zu einer wahren Sonnenpflanze, die die Lebenskraft erneuert und Lebenswärme spendet. Nicht umsonst gibt es kaum ein Lebenselixier, das ohne diesen Vielheiler auskommt. Von ihren weitreichenden Heilkräften zeugen allein die vielen Beinamen, die sie verdientermaßen trägt: Angstwurz, Brustwurz, Cholerawurz, Engelwurz, Geilwurz, Giftwurz, Heiligenbitter, Heiliggeistwurzel, Nervenstärk, Theriakwurzel, Zahnwurz.
Majestätische Erzengelwurz
Teufelsdreck treibt Dämonen aus
Von der Gestalt her sind auch die Harzbildner unter den Doldengewächsen – Galbanum, Opoponax und Stinkasant – der Erzengelwurz recht ähnlich. Alle drei sind Ferula-Arten, die wenigstens mannshoch werden und Milchsäfte führen. Im menschlichen Körper entsprechen die Milchsäfte
am ehesten der Lymphe, für die sie auch potenzielle Heilmittel wären; allerdings hat sich nur die eng verwandte Angelikawurzel als Lymphheilpflanze behaupten können. Die getrockneten Milchsäfte sind dann die eigentlichen Harze. Sie haben eine klebrige bis ölige Konsistenz und dienen seit frühester Zeit als Räucherstoffe sowie als Heilmittel. Galbanum fand beispielsweise schon in der Bibel Beachtung: »Galbanum wird im zweiten Buch Mose neben Olibanum, Styrax, Räucherklaue und Balsam als Zutat für eine Räucherung zu Jehovas Ehren genannt« (Chr. Rätsch, 1996).
Bei Asa foetida, auch Stinkasant oder Teufelsdreck genannt, soll es sich sogar um das sagenumwobene Wundermittel der Antike namens Silphion handeln. Diese Wunderpflanze soll über derart große Heil- und Zauberkräfte verfügt haben, dass sie bereits in der Antike als ausgerottet galt. Doch die heutige Asa foetida steht der antiken Stammpflanze wohl kaum in etwas nach, denn sie wirkt ebenfalls heilsam auf Leib und Seele und erweist sich – neben Angelikawurz und Johanniskraut – als eine der wirkungsvollsten schutzmagischen Heilpflanzen.
Asa foetida genoss bereits bei Paracelsus großes Ansehen als Räucherstoff zur Austreibung der Pestdämonen und bösen Geister, die Krankheit und Wahnsinn über die Menschen bringen. Er schätzte alle drei als Geschwürmittel und gebrauchte sie wegen ihrer außergewöhnlichen Wundheilkräfte beispielsweise als Zugpflaster bei eitrigen Abszessen sowie in Form von Salben oder Pflastern bei Pestbeulen und Leprageschwüren bis hin zu Krebs.
Flecken auf dem Stängel des Schierling, der bis zum Boden glatt und bereift ist
Vom Gift zur Arznei
Durch den Tod des Sokrates avancierte der gefleckte Schierling (Conium maculatum) zur bekanntesten Giftpflanze des Abendlands. Seine etwas düstere Gestalt mit dem braunvioletten Stängel, der nicht immer gefleckt ist (!), und die unangenehme Duftaura, die an warmen Tagen von ihm ausgeht, deuten das giftige Pflanzenwesen an, das auf Abstand halten will und beim Zerreiben von Blatt oder Frucht mit seinem eigentümlich abstoßenden Geruch (der an Urin von Mäusen erinnert) warnt.
Angelika und Conium: Beide Pflanzen flößen gleichermaßen Respekt ein, die eine wegen ihrer lichten und majestätischen Erscheinung, die andere wegen ihrer düsteren Ausstrahlung und der abstoßenden Duftaura. Wie Licht und Schatten stehen sie sich innerhalb der Doldengewächse gegenüber, und dennoch würde kein Heilkundiger auf eine der beiden verzichten wollen – obwohl Paracelsus darauf hinwies, dass der Schierling »Tobsucht hervorrufen « könne (II/139) und der Genuss »wahnsinnig, zerrüttet, toll, wild und wirr im Kopf« mache (IV/582); man nennt den Schierling auch »Wüterich «.
Paracelsus gebrauchte das hochgiftige Doldengewächs wegen seiner resolvierenden Wirkung auch als Geschwürmittel (III/76). Ferner schrieb er: »Was erkalten lässt und nicht den Lebensgeist angreift, ist in entsprechender Dosis ein Heilmittel, wie die Narcotica, Anodina, Somnifera (…), Cicuta« (III/384). Jedoch meinte er mit »Cicuta« sehr wahrscheinlich nicht den gefleckten Schierling, sondern den eng verwandten Wasserschierling (Cicuta virosa), der als noch giftiger gilt. In jedem Fall aber wohnen in diesen Giftpflanzen zwei Geister – ein guter, den es zu befreien, und ein böser, den es zu zügeln gilt. Wenn daher Paracelsus auf die richtige Dosis verweist, dann gilt dies für Giftpflanzen in ganz besonderem Maß. Was das umsichtige Dosieren angeht, so bietet die Homöopathie mit ihren verschiedenen Verdünnungsgraden die besten Möglichkeiten.
Während der Wasserschierling ausschließlich homöopathisch gebraucht wird (z.B. bei Epilepsie, Migräne, Nervenschmerz), findet der Flecken-Schierling äußerlich und innerlich nicht nur als Homöopathikum Anwendung. In Salben (z.B. Conium 5% Salbe von Weleda) reguliert er etwa die Drüsentätigkeit bei Schilddrüsenüberfunktion und leistet ferner gute Dienste als wichtigstes Begleitmittel bei knotig-zystischer Veränderung der Brustdrüse (Mastopathie) bis hin zur Schmerzlinderung bei inoperablem Brustkrebs (äußerlich angewendet ist er rezeptfrei). Innerlich zählt der Schierling (z.B. Conium D6) zu den großen Lymphmitteln der Homöopathie, die zur Lymphentlastung, bei Lymphknotenschwellungen bis hin zu chronischen Erkrankungen im Lymphsystem wie dem Pfeifferschen Drüsenfieber eingesetzt werden (z.B. Itires spag. Tropfen und Salbe von Pekana).
Im Sinne des Paracelsus, der bereits Jahrhunderte vor Hahnemann die homöopathische Grundidee aussprach, kann man sagen: Je giftiger die Krankheit ist, desto giftiger muss auch die Arznei sein. Eben darum ist Conium ein besonders kraftvolles Heilmittel, sofern man es richtig dosiert. Damit erweisen sich die Doldengewächse als eine mächtige Heilpflanzenfamilie, die vom verdauungsfördernden Gewürz über das Liebesmittel und die Nervenarznei bis hin zum pflanzlichen Antibiotikum bei Seuchen wie Pest und Cholera viele Heilmittel liefert.
DVDs zum Thema